Lebensbilanz mit 40: zwischen Om und Ehrgeiz

Zwei Frauen, ein Gedanke? Nicht bei schlauen 40-somethings: Als ich mich kürzlich mit der Schauspielerin und Dichterin Maria Magdalena Rabl traf, um über unser Leben zu sprechen, Vergangenheit, Zukunftsperspektiven, Älterwerden und Sinnsuche, da standen wir am Ende vor einer ganzen Blumenwiese von Ideen und Assoziationen. Im ersten Teil des Gespräches ging es darum, wie es sich lebt, wenn der Traum von der Laufbahn als Schauspielerin (sie) und Schriftstellerin (ich) sich zwar zum Teil erfüllt hat, aber es (noch) nicht für die A-Liga gereicht hat. Heute und hier wird’s grundsätzlicher: Wie gehen wir mit dem Älterwerden um, mit der Vergänglichkeit, wird Spiritualität wichtiger, und ist Neid manchmal ein guter Ratgeber? “Ich erlebe immer wieder Glück in Momenten, in denen es ganz weit weg scheint.”, hat Maria gesagt. “Die schlimmen und die guten Dinge passieren, da hast du keinen großen Einfluss, du kannst dich nur dem Leben hingeben. Klar musst du dich bereithalten, damit das Schicksal die Chance hat, dich auch auszuwählen. Schreiben, Spielen, auf dich aufmerksam machen. Aber das ja oder nein, das kommt von außen, das hast du nicht in der Hand.”

Verena: Wenn du das so sagst, denke ich: Das ist eigentlich ein ganz entlastender Gedanke. Wir in unserer Gesellschaft neigen ja dazu zu glauben, wir seien für alles selbst verantwortlich, von Erfolg bis Gesundheit. Und bei Scheitern und Unglück selbst schuld. Das ist eine sehr harte, sehr menschenunfreundliche Haltung. Und wenn man davon abkommen könnte, das wäre schön. Vielleicht entwickelt man die auch eher in unserem Alter, wenn man etwas mehr Lebenserfahrung hat.

Maria: Etwas. (lacht) Aber im Ernst, wenn ich nicht so denke, komme ich in meinem Leben ganz schnell in Momente von: Ich schaff’s nicht, ich muss doch was falsch machen, was stimmt da bloß nicht mit mir …

Lebensbilanz mit 40: Neid als zuverlässiger Kompass

Verena: Ich hatte auch immer wieder solche Gedanken wie: Dieses ganze künstlerische Bohei, tritt das doch in die Tonne, du bist doch ne gute Journalistin, steck doch mehr Energie da rein, versuch, eine klassische Karriere zu machen, träum nicht mehr vom perfekten Roman, sondern von einem Posten als Textchefin, oder gleich als Chefredakteurin. Ich kenne ja Leute, die im Job mit mir angefangen haben und jetzt auf solchen Posten sitzen, völlig zu Recht. Aber weißt du, woran ich merke, dass das gar nicht mein Weg sein kann?

Maria: Na?

Verena: Dass ich nicht neidisch bin auf die. Null. Die haben alle ihre Karrieren verdient, mit mir hat das nichts zu tun, diese Art von Laufbahn, die dazu führt, dass du ein großes Rad drehst, Einfluss hast, Menschen führst, diese Vorstellung kickt mich überhaupt nicht. Ich wollte immer nur schreiben. Neid ist kein schönes Gefühl, aber ein verdammt guter Kompass, der uns ziemlich deutlich zeigt: Da wo die Nadel hinzeigt, das sagt was aus über deine tiefsten Bedürfnisse, da schau mal genauer hin.

Maria: Das stimmt. Aber ich würde trotzdem sagen, wir sollten aufhören mit dem ewigen Vergleichen. Mein Leben ist meins, so holprig es ist. Und im Rückblick kann man immer leicht sagen, man hätte dies oder das anders machen können oder sollen. Der Mensch von damals konnte das nicht. Und dann ist es eben so, wie es ist. Ich möchte authentisch sein. Auch in der Arbeit. Klar, ich könnte über mein Alter lügen oder meine markante Nase operieren lassen. Mach ich aber nicht. Ich möchte alt werden dürfen und trotzdem die Hoffnung nicht aufgeben. Jung bleiben müssen finde ich sehr anstrengend.

Lebensbilanz mit 40

Philosophisches Café: Verena und Maria im Gespräch (c) Verena Carl

Verena: Der Körper ist ein fieses Kampfinstrument unter Frauen, oder? Nicht nur in einer optisch dominierten Branche wie der Schauspielerei. Wobei ich oft auch froh bin, nicht mehr 20 zu sein. Da war ich objektiv sicher hübscher als heute, aber hatte nichts davon, weil ich nur auf meine Defizite gestarrt habe. Ich dachte immer, mein Leben fängt erst dann richtig an, wenn ich sieben Kilo abgenommen habe. Was für eine enorme Verschwendung von Energie und Lebenszeit!

Maria: Dieser Fokus auf Diäten, auf Optik, meinst du, das ist eine Art und Weise um Frauen kleinzuhalten?

Verena: Ich sehe da keine Verschwörung der bösen Männerwelt. Oder der Medien. Das tun wir Frauen uns doch selbst an. Und sind am schärfsten und bösesten miteinander.

Maria: Ich meine auch nicht, dass da eine Verschwörung am Werk ist. Aber vielleicht ist es mit der Emanzipation tatsächlich nicht weit her, wenn wir die Korsette durch Shapewear ersetzt haben.

Verena:…ja, aber die Männer dürfen auch nicht mehr dick werden, zumindest nicht mehr ab einer bestimmten Karrierestufe, die armen. Das ist einfach Kapitalismus. Selbstoptimierung. Das totale ökonomische Diktat des Lebens.

Maria: Wer nicht schön ist, ist selber schuld.

Der Lack ist ab? Warum Älterwerden auch Befreiung sein kann

Verena: Ich bin wirklich froh, dass ich mit dem Älterwerden gnädiger werde mit mir selbst. Ich war nie wunderschön, nie der Typ, nachdem alle Männer die Köpfe verdrehen, und bin froh, dass mittlerweile andere Währungen zählen. Für mich ist das keine große Umstellung.

Maria: Wie gesagt, mir ist wichtig, ich selbst zu sein. Das empfinde ich tatsächlich als Herausforderung, gerade in einem Umfeld, das ganz stark über Schein funktioniert. Zu mir stehen, auch wenn ich nicht aussehe wie eine Puppe, auch wenn ich mich nicht mit enormen Erfolgen schmücken kann.

Verena: Das ist doch ein großer innerer Schatz! Du hast dich selbst nicht verraten, bist dir nicht untreu geworden. Kann nicht jeder von sich behaupten. Darauf kannst du doch stolz sein.

Maria: Ach, die Verratsmomente gab es natürlich. Gibt es immer noch. Aber meistens komm ich dadurch wieder ein Stückchen mehr zu mir.

Lebensbilanz mit 40

Leben über 40: eine Reise ins Blaue (c) Verena Carl

Verena: Eine Kollegin hat neulich Leonard Cohen zitiert: „There’s a crack in everything/that’s how the light comes in.“

Maria: Schön.

Verena: Trotzdem tun Misserfolge, Rückschläge ja erstmal weh. Was gibt dir dann Kraft?

Maria: Ich habe einen Glauben. Ich glaube, es gibt etwas, das mir beisteht. Im weitesten Sinne ist das sicher christlich, der Liebe verschrieben. Damit gebe ich natürlich Verantwortung für mein Leben ab, aber es trägt mich auch. Ich kenne in meinem Leben so viel Ohnmacht, dass ich merke, ich schaffe es nicht, wenn da nicht was ist, das größer ist als ich. Was auch hilft ist, sich auf Dinge zu konzentrieren, die gar nicht so selbstverständlich sind, wie sie klingen: Ich habe zu Essen, ich habe eine Wohnung, eine Badewanne mit heißem Wasser …

Verena: … Nein, in diesen kriegerischen, krisenhaften Zeiten ist das alles andere als selbstverständlich …

Maria: Daran dachte ich auch gerade. Ich finde auch, es ist wichtig, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Mir nimmt das die Angst.

Verena: Wobei wir ja statistisch immer noch unendlich viel weniger gefährdet sind, als wenn wir in Damaskus leben würden, oder Jerusalem …

Maria: Der Tod hat immer Recht. Der findet dich, wenn er will. Dagegen können wir uns eh nicht schützen. Das ist das Einzige, das in unserem Leben sicher ist. Könnte das eben nicht auch ein Trost sein, eine Leichtigkeit geben? Egal, was wir mit dem Leben anfangen, es ist irgendwann vorbei …

Verena: Der Klassiker wäre die umgekehrte Schlussfolgerung: Lebe jeden Tag besonders intensiv, als wäre er dein letzter …

Maria: … das kannste gar nicht …

Verena: … Und außerdem steckt da ja auch schon wieder ein Leistungsanspruch dahinter …

Maria: … Ähnlich wie der Anspruch, auf der Suche nach Erleuchtung dein Ich in der tiefen Meditation auszulöschen.

Verena: Ja! Genau! Ich habe mich ja auch ein Weilchen mit Yoga beschäftigt, aber die Philosophie dahinter hat immer wieder meinen Widerspruch herausgefordert. Mir hat mal eine Yogalehrerin erklärt, nur im Tiefschlaf zwischen den Traumphasen sei der Mensch ganz er selbst. Da denke ich immer: Nee, dann bin ich Gemüse, das ist genau das Gegenteil von Leben, das Gegenteil von Ich-Sein. Klar, Entspannung und Gedankenstille sind was Schönes, genau so wie man Schlaf braucht, um dann wieder wach sein zu können. Aber ich bin ich, wenn ich fühle, auch intensiv, auch Trauer und Schmerz, und nicht, wenn ich mich von allem entferne, das mich ausmacht.

Maria: Ich glaube auch, wir sind hier, um zu erfahren. Nicht, um uns über die Erfahrung hinwegzusetzen. Wozu denn sonst das ganze Spektakel?

Verena: Beides allein ist zu wenig. Sowohl ständig Mantra-murmelnd die eigenen Wünsche abzudämpfen, als auch unreflektiert nach den Regeln der Leistungsgesellschaft zu spielen. Beide Welten haben ihr Gutes, lass es uns rauspicken. Vielleicht muss man die 40 überschreiten, um das zu verstehen. Keine Angst vor Träumen, aber ruhig pragmatisch das annehmen, was gerade ist. Dankbar und neidisch sein, die Kinder bekochen, weiter Hoffen und im Lotussitz auch mal den Bauch einziehen, weil der hübsche Nachbar guckt.

Maria: Leben halt.

Verena: Eben.

 

 

 

 

One Reply to “Lebensbilanz mit 40: zwischen Om und Ehrgeiz”

  1. Angela

    …und jetzt hol ich mir sofort wieder den Leonard-Cohen-Gedichtband, der damals irgendwie verloren ging. 🙂 Danke für die Inspiration & das Gespräch!

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