Automatisierung überall: Alles muss man selber machen!

Neulich, am Samstag Vormittag, an der Kasse eines großen skandinavischen Möbelhauses. Es ist sommerlich still, keiner guckt, auch nicht die Nachbarn. Der perfekte Zeitpunkt für eine neue Herausforderung: selbst kassieren. Kann ja nicht so schwer sein: einfach Badematte Örebrö und Gartenbankbauset Mykketykke an den Scanner halten und die EC-Karte in das Lesegerät einführen. Richtig herum auf Anhieb. Pörfökt. So könnte ich wohl locker jede Prüfung zur Einzelhandelskauffrau bestehen, ohne Weiterbildung. Oder? Von wegen. Zwei Stunden später stelle ich entsetzt fest, dass ich an alles gedacht habe. Nur nicht daran, meine Karte wieder mitzunehmen. Bei meiner hektischen Rückkehr hält mir die professionell ausgebildete Kassiererin einen ganzen Stapel davon hin. Und tröstet mütterlich: „Das geht allen Kunden so beim ersten Mal.“

Nächster Akt, noch immer in der Ferienzeit

Eine gewisse norddeutsche Hansestadt stellt seit einigen Jahren an jeder zweiten Straßenecke Leihräder zur Verfügung, was keine schlechte Idee ist. Schließlich ist meinem letzten Fahrrad an seinem Laternenparkplatz zuerst der Sattel abhanden gekommen und dann auch noch der Rest seiner Würde. Heute ist es endlich soweit, ich steige um auf Bike-to-go. Habe ich mir so gedacht. An einem Standbildschirm muss ich zahlreiche Fragen beantworten (Kontoverbindung? Sternzeichen sämtlicher Haustiere?), ehe mir ein „Gute Fahrt!“ entgegenleuchtet. In einem hämischen Grünton. Das Fahrradschloss sitzt noch immer fest, als müsste es die letzten Goldreserven von Fort Knox sichern. Erst ein Hotline-Anruf lüftet das Geheimnis: eine Geheimtastatur, nahezu unsichtbar am hinteren Rahmenteil untergebracht, zu betätigen vor Fahrtantritt, mit einem noch zu erfragenden Geheimcode.

Praktisch in fast jeder Großstadt: Leihräder ©reverent/pixabay.com

Praktisch in fast jeder Großstadt: Leihräder © pixabay.com

Alles so modern. Alles so praktisch. Und: Alles muss man selber machen!

Dabei fing alles ganz harmlos an, in den Siebzigern. Unsere Mütter fanden es noch cool, aus den aufgereihten Gurkengläsern im SB-Markt auszuwählen, statt dass Tante Emma persönlich im Riesenfass mit sauer Eingelegtem fischte. Und am Ende noch herumtratschte, dass man saure Gurken verlangt hätte, man sei doch nicht etwa…? Selber tanken förderte die Emanzipation, Bargeld rund um die Uhr machte das Leben leichter. Seither hat sich der Mensch vom Teilzeitverkäufer, Banker und Tankwart allerdings notgedrungen weiter qualifiziert: Zur Bodenstewardess, zum Zugfahrkartenverkäufer, zum Koch und Kellner.

Etwa in einer italienischen Restaurantkette mit einem Namen, der übersetzt so viel heißt wie „Mach mal langsam.“ Piano geht es aber höchstens, weil vor dem ersten Biss in die Nudel jede Menge eigene Arbeit steht: Pasta, Sauce und Sonderbeilagen zusammenstellen, am Tresen ordern, schließlich angespannt ein handtellergroßes Gerät anstarren, das aussieht wie ein Mini-Ufo. Plärrt und blinkt das Ufo, rast man wieder zum Tresen und holt eine Art Rohfassung des bestellten Gerichtes. Die Feinheiten muss, äh, darf wieder der Gast machen: würzen, ölen, Basilikumblätter von den Bäumchen auf dem Tisch zupfen. Buon appetito.

Automatisierung? Nix da selbst würzen muss man selbst ©pixabay.com

Bitte selbst würzen ©pixabay.com

Jede Wette: Da geht noch was. Nicht nur in der Gastronomie. Wie wäre es zum Beispiel mit Fly-yourself-Tickets, bei denen jeder Passagier mal auf ein paar Knöpfe drücken und „Roger!“ rufen darf? Personal Feiling, dem Nagelstudio mit Selbstbeteiligung? Oder „YouWrite “ – dem modernen Lifestylemagazin, in dem der Leser die gewünschten Artikel handschriftlich in großzügige Textboxen eingibt?

Ach so, gibt es ja schon. Nennt sich Blog. Da kann jeder schreiben, was er schon immer lesen wollte. Toll, diese modernen Zeiten.

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