Welchen Fahrplan hat die Liebe? Klar, dass wir spontan antworten würden: Gar keinen. Ist es nicht eine wahnsinnig individuelle und höchst romantische Route, die jedes Paar für sich einschlägt? Kommt es Verliebten nicht vor, als würden sie gemeinsam völlig neue Schneisen ins Dickicht des Lebens schlagen, gemeinsam an Orte kommen, an denen sie allein noch niemals waren, sich gegenseitig von Gipfel zu Gipfel katapultieren?
Ach was, seien wir doch mal ehrlich: Das mit den Gipfeln mag ja stimmen, aber die meisten von uns bewegen sich ja doch auf ziemlich ähnlichen Trampelpfaden. Vom ersten Date zum ersten gemeinsamen Urlaub, von der ersten gemeinsamen Wohnung in Richtung Ehe, oder zuerst Richtung Baby, oder weder noch, aber dafür erst zu Immobilienmakler und dann zum Kreditberater. Okay, im alternativ geprägten Hamburg-Ottensen gehöre ich zu einer Minderheit, weil wir tatsächlich zuerst geheiratet und dann Kinder bekommen haben – in unseren Kreisen hier macht man’s eher umgekehrt und hält das Heiraten bewusst schlicht. Aber sonst ist mein Leben wie ein Hüpfspiel, mit logisch durchnummerierten Kreidekästchen. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, nur: Wenn schließlich die Möbel zusammengeworfen, die Eheringe fest am etwas feisteren Finger sitzen und die Wunschkinder sich eingestellt haben, dann ist das zwar ein großes Glück, es kommt aber auch so schnell kein weiteres Kästchen. Die große Frage unter langjährigen Paaren, in der Liebe über 40: Wo geht es jetzt lang, und was ist das nächste Etappenziel zu zweit?
Müssen wir warten, bis die Kinder aus dem Haus sind?
Bei der Gelegenheit fällt mir dann meistens dieser jüdische Witz ein, in dem der Rabbi gefragt wird, wann das Leben beginnt. Seine weise Antwort: Wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Hund tot. Aber auf Hunde ist mein Liebster allergisch, und bis meine Kinder sich in Studenten-WGs flüchten, wollte ich eigentlich nicht warten, dass endlich mal wieder etwas passiert. Mal davon abgesehen, dass das Ende dieser Lebensphase ja auch nichts ist, das einen nur mit reiner Vorfreude erfüllt. Außerdem finde ich die Vorstellung, mich mit meinem Mann über die nächsten zehn Jahre an ein und demselben Etappenziel häuslich einzurichten, auch nicht so attraktiv. Ja, es ist ganz erholsam, nicht immer nach dem nächsten Ziel zu schielen – aber irgendwann braucht man ja wieder eins, um nicht einzuschlafen. Was tun, wenn den nächsten Schritten die Selbstverständlichkeit ausgeht, und den selbstverständlichen immer mehr Deprimierendes anhaftet?
So dachte ich – und dann, vor ein paar Wochen in den Herbstferien, saßen wir dann in einem Straßencafé in Granada. Wir schauten den Studentencliquen beim Flanieren zu, tranken Bier und freuten uns, dass es dort immer noch die Sitte gibt, zu jedem Drink Gratis-Tapas zu servieren. Das kannte ich noch aus der Zeit von vor 25 Jahren, als ich für ein paar Monate in Andalusien war, um Spanisch zu lernen. Ein Wort gab das andere, auch er erinnerte sich wieder an seine paar Lektionen aus der lang vergangene Schulzeit, und plötzlich war er da, der Plan: Lass uns doch mal länger hier bleiben und unsere Sprache auffrischen! Vormittags einen Kurs machen in so einem kühlen hohen Raum, nachmittags über schattige Plazas bummeln, vielleicht noch ein paar Flamencostunden, in denen ich mich so richtig schön blamieren kann, und abends hier sitzen und trinken mit Blick auf die Alhambra! Wann? Auch das steht fest: nicht erst wenn die Kinder nach Berlin gezogen sind, oder Bologna, oder Bejing, sondern wenn sie es allmählich peinlich finden, mit uns zu verreisen. Das wird schneller gehen, als uns lieb ist. Das wäre dann unser erster längerer Urlaub zu zweit in schätzungsweise 15 Jahren.
Liebe über 40: So schaffen wir uns den Schmetterlingseffekt
Ist das jetzt eine fade Pointe? Hätten wir dort in Granada, an diesem Nachmittag, nicht etwas Großartiges, Wagemutiges, Originelles beschließen müssen? Mindestens eine Weltreise, besser einen Tantrakurs, freie Liebe für alle, oder einen Umzug von Hamburg-Ottensen in ein oberbayerisches Bauernhaus? Ach, nee. Unser kleiner, feiner Plan ist realistisch, das ist ein großer Pluspunkt. Die markigsten Sprüche, die radikalsten Änderungswünsche, sind meistens das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Und weil ich sicher bin, dass wir ihn wahrmachen, hat er einen wunderbaren Schmetterlingseffekt auf unsere Beziehung. So wie der viel zitierte Schmetterlingseffekt, der dafür sorgt, dass ein Wetter-Hoch aufgrund eines winzigen Lufthauches plötzlich 300 Kilometer weiter nördlich vorbeizieht. Ein Effekt, der die schlappen Schmetterlinge im Bauch wieder erfrischt mit ihren Flügeln schlagen lässt. Weil wir mal wieder Raum schaffen für Zweisamkeit – und ein bisschen aufregende Dramatik. Das passt schließlich nach Andalusien, wo Carmen und José zu Hause sind und die heißblütigen Blicke. Es ist vielleicht nicht die gleiche Größenordnung wie früher, als es darum ging, gemeinsam das Leben zu verbringen oder Kinder in die Welt zu setzen – aber ist ist mal wieder ein Anfang. Mal sehen, was danach noch kommt.