Wie wir lieben – die schwierige Suche nach klugen Antworten

Was ist Liebe? Oh, Baby, verletz mich nicht … ein furchtbarer 90er-Jahre-Song. Aber es gibt einen Grund, warum ich gerade dieses Lied als Ohrwurm habe. Denn die Frage beschäftigt mich: Was genau ist eigentlich Liebe? Warum ist Liebe heute so wie sie ist, und wie war sie früher? Und was bedeutet das für mich?

Egal wohin ich gucke, scheinbar dreht sich fast alles um Liebe. Um das Finden eines Herzensmenschen, um das glückliche Miteinander und auch um den Verlust. Um Sehnsucht nach etwas, das schwer zu beschreiben ist. Und nun las ich ein Buch, das sich genau diesen Themen widmet: „Wie wir lieben“ von Friedemann Karig.

Wie wir lieben – ein Buch voller Geschichten von Menschen, die von großem Glück und großer Unsicherheit berichten

„Es ist uns schmerzhaft unangenehm, uns öffentlich mit unserem innersten Wesen auseinanderzusetzen, auch im Jahre des Herrn 2017. Wir fliegen zum Mond und blicken in den Ursprung unserer Gene. Aber Sex?“ Liebe und Sex, so komplizierte und intime Themen. Doch wie sieht unser Idealbild davon aus? Und wo kommt es her? Friedemann Karig geht dem klug auf den Grund, sucht biologische Erklärungen, sieht kulturhistorische Zusammenhänge. Sehr fein und sprachlich beeindruckend hinterfragt er kulturelle Normen. Normen, die schon vor fast einem halben Jahrhundert von den 68ern in Frage gestellte wurden. Aber weder deren totale sexuelle Freiheit noch die traditionelle Ehe scheinen wirklich zu funktionieren. Das zeigt die Scheidungsrate. Gegenmodelle und Erklärungen, damit haben sich schon ein paar schlaue Denker beschäftigt. Doch Karig will mehr. Er sucht das große Bild, erzählt aber auch Geschichten. Lässt Menschen zu Wort kommen, die Lebenskonzepte in Frage stellen und für sich selbst zum Teil eher ungewöhnliche Lösungen gefunden haben.

Die romantische Liebe sei eine relativ neue Erfindung, schreibt er. Die Kulturhistorikerin in mir nickt zustimmend. Die Suche nach dem großen Liebesglück, nach dem einen wahren Prinzen ist keine 200 Jahre alt. Diese Glück musste früher nicht in der Ehe gesucht werden, denn die war eine Zweckgemeinschaft. Und sie dauerte nicht so lange, weil die Menschen schlichtweg früher starben. Heute müssen wir nicht heiraten. Wir haben alle Freiheiten, dürfen leben und lieben wie wir wollen. Oder etwa nicht?

Der Partnerwahl sind keine Grenzen gesetzt, so wie wir im Supermarkt vor der Wahl zwischen zig Joghurt-Sorten stehen, dürfen wir lieben, wen wir wollen. Und den oder die dann ewig. Eine ziemliche Herausforderung, an der viele scheitern. Warum? Weil Liebe irgendwann zwangsläufig langweilig wird? „Wie alles, so gern man es auch mag, irgendwann nicht mehr neu ist. Dann sehnt man nach etwas Neuem (…). Wir sehen das Glück vor lauter Routine nicht mehr. Dann braucht es einen Anstoß, einen Perspektivwechsel“, schreibt Karig.

Wie wir lieben - manchmal zu dritt

Liebe zu dritt – auch so lieben einige glücklich (c) www. pixabay. com

Denn vielleicht heißt Liebe ja auch loslassen?

Ist Liebe nicht eventuell auch das Loslassen von Idealen, Vorstellungen und Vorurteilen? Die Liebenden, die der Autor für sein Buch interviewte, haben sich in verschiedenen Konstellationen für ein andere Lebensmodell entschieden. Sie lieben nicht nur einem Menschen, leben polyamor. Erzählt werden die Geschichte einer Frau in den 40ern, die nicht nur ihren Ehemann, sondern auch einen zweiten Mann liebt. Beide Männer wissen voneinander. Von einem Paar, bei dem beide wechselnde Kurzbeziehungen haben. Andere leben offen zu dritt. Mögliche Varianten. Aber mir kam mir beim Lesen dieses unsägliche Lied ins Ohr: What is love. Baby, don’t hurt me.

Ist nicht doch einer oder eine verletzt? Findet vielleicht einer von beiden Erfüllung von Wünschen, der andere aber nicht? In unserem Land muss eigentlich niemand mehr zusammenbleiben, wenn die Liebe nicht mehr trägt. Die Gesellschaft zwingt uns nicht dazu. Aber eventuell Angst vor Einsamkeit, Sorge um Geld oder die Furcht, gemeinsame Kinder weniger zu sehen? Das ist ein Aspekt, der im Buch kaum erwähnt wird. Genauso wenig, wie die Stärke von Nähe und Vertrauen, die sich ein Paar meist erst lange erarbeitet.

Lange Beziehungen müssen nicht zwangsläufig langweilig sein, davon bin ich überzeugt. Denn immer wieder verändert sich der Einzelne auch in den Jahren. Wege führen manchmal auseinander – aber eventuell auch wieder zusammen. Tatsächlich gibt es viele Gründe, warum Beziehungen scheitern. Fremdgehen muss nicht zwangsläufig ein Aus sein. Aber das Geheimnis darum, das verheimlichte Ausleben von nie erzählten Sehnsüchten, das schon.

Offene Liebe – Stoff zum Nachdenken

Der Untertitel „Vom Ende der Monogamie“ provoziert und macht nachdenklich. Die einen leben das Konzept der seriellen Monogamie, eventuell mit Ausrutschern, die anderen lieben mehrere Menschen gleichzeitig. Ist das wirklich freie Liebe? Ohne sexuelle Exklusivität, aber mit dem starken Bekenntnis nur aus Verbundenheit doch immer wieder zueinander zu finden? Das kann sein. Aber ich kenne die Freunde meiner Eltern, die so etwas in den frühen 70ern erlebten, weiß, dass wir Kinder im Kinderladen zum Teil rätselten. Der Papa von Tilo wohnte jetzt bei der Mama von Lara? Und wer küsste da wen? Wer zwei mal mit dem selben pennt – solche Parolen üben auch Druck aus. Das ist für mich keine Freiheit, die ich leben wollte. Damals scheiterte die sexuelle Revolution, weil eben doch viele das Modell Zweisamkeit mögen. Weil die Kleinfamilie schön sein kann.  Aber die offene Beziehung, von der Karig schreibt, meint auch eine andere Offenheit.

Wie wir lieben - mit vielen Herzen

Viele Lieben oder nur die eine? (c) Silke Plagge

Ich mag seine Definition der offenen Liebe. „Eine Liebe zu einem Menschen offen zu gestalten, ohne an einen Endpunkt zu denken, ab dem gefälligst alle glücklich und zufrieden sein sollen – das ist die offene Beziehung, von der Rede ist. Offen bedeutet nicht wahllos oder beliebig. Offen bedeutet, dass die Form der Beziehung, ihre Regeln und Absprachen den eigenen Wünschen und den Menschen, die damit leben, angepasst werden,“ schreibt Karig im Epilog. Offen sein für die Wünsche des geliebten Menschen, für die eigenen. Das mag eventuell brutal und vor allem sauschwer sein. Denn erst einmal bedeutet das auch: eigene Bedürfnisse zu spüren. Und sie dem anderen mitteilen zu können.

Viel Stoff zum Nachdenken. Anregungen und Ansätze. Eigentlich müsste dieses Buch zu zweit gelesen werden. Als Paar. Das könnte dann gemeinsam zu vielleicht unerwarteten Gesprächen und Abenteuern führen …

Mehr zum Buch: Friedemann Karig: Wie wir lieben. Vom Ende der Monogamie. Blumenbar, 2017.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.