Letzte Woche schrieb Silke hier im Blog über einen Sommer auf Wolken mit 40plus und geschenkte Augenblicke. Die hat sie ja nicht allein erlebt. Wie die andere Seite der Medaille aussieht? Aus Sicht der Männer ab 40? Das schildert heute unser Gastautor. Auch ein 40-something.
Erwachsenwerden – tja. Die Anforderungen und Standards der Gesellschaft bürden wir uns meist freiwillig auf. Ob das, was ich so mache, wirklich das ist, was ich eigentlich möchte? Ich hatte nie die Möglichkeit oder die Zeit, darüber wirklich nachzudenken. Nicht falsch verstehen, weder jammere ich, noch bedauere ich mein Leben. Aber ich denke, dass ich nicht eine bewusste Entscheidung gefällt habe, die mich an diesen Punkt des Lebens gebracht hat – so viel zum Thema freier Wille.
Irgendwann wird einem einfach klar, dass man langsam, aber sicher auf das letzte Drittel des Lebens zusteuert. Und das zweite Drittel vor allem damit verbracht hat, andere Leute glücklich zu machen und ihren Erwartungen gerecht zu werden. Dafür gibt es diesen ziemlich fiesen Begriff: Midlife Crisis. Wobei die für den Einzelnen gar keine Krise sein muss. Aber aus der Sicht der Gesellschaft ist es eine Krise, weil sie alle Macht verliert. Die Macht lenken zu können, was man bitte zu tun und zu lassen habe. Also vielleicht hat mich dann diese Krisen-Sache doch erwischt.
Männer ab 40: Ich wollte wieder ich sein
Ich lebe an der amerikanischen Westküste. Beruflich arbeite ich unzählige Stunden für eine der großen Hightech-Firmen. Ein Job, den es so nur hier gibt, umgeben von unglaublich talentierten, schillernden Persönlichkeiten und den unendlichen technischen Möglichkeiten, die das Internet bietet. Das ist keine Arbeit, bei der alles Punkt 17 Uhr fallen gelassen wird, so wie ich das aus Deutschland kenne. Das ist viel mehr und das ist genau das, was ich mir gewünscht habe: eine Arbeit, die ich liebe und in der ich gut bin. Und die ein recht angenehmes Leben und den Kindern eine gute Schulausbildung ermöglicht.
Privat habe ich allerdings in einer Eishöhle nach einem Atomkrieg gelebt. Mir wurde immer deutlicher, dass ich da raus musste. Dass ich fertig damit bin, den mittlerweile flüggen Kindern ein Nest zu bauen. Ich wollte wieder ich sein. Keine Kompromisse. Keine Schuldgefühle, keine Entschuldigungen – nur eine Ein-Mann-Armee. So ein Männerding.
Eine Pause von meinem Leben – und Kommunikation wie Kokain
Eine längere Geschäftsreise nach Deutschland kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Für mich war das ein Segen zurück in meine Heimatstadt Hamburg fahren zu können. Wochen, die nicht nur Arbeit, sondern auch Auszeiten versprachen. Zeit zum Nachdenken und Reflektieren. Nicht meine erste Solo-Reise zurück zu den alten Wurzeln. Aber ich wollte raus aus meiner Blase.
Ich wagte mich auf Neuland. Auch wenn ich eigentlich jede Minute im Internet lebe und arbeite – ich habe es noch nie dazu genutzt, neue Menschen zu treffen. Und dann bescherte mir ein Algorithmus eine besondere Begegnung im Netz. Wir tauschten Nachrichten aus. Immer mehr.
Auch mit viel Fantasie würde mich niemand als ‘Gottes Geschenk an die Frauen’ bezeichnen. Ich bin wohl eher der Geek mit Brille. Der, der sich mit höherer Mathematik wohler fühlt, als bei Gesprächen mit dieser anderen Hälfte der Menschheit, die so komplett anders tickt. Aber das hier – das fühlte sich richtig an. Mit dieser Frau zu kommunizieren war anders. Leicht, mühelos. Und genau das machte ich. Wenn ich aufwachte. Wenn mir der Jetlag den Boden unter den Füßen wegzog. Nach endlos langen Meetings. Nach einem langen Tag, vor dem Einschlafen. Unser Austausch war für mich wie Kokain. Er sorgte für einen Extra-Kick, gab Kraft an die Grenzen zu gehen, weiter, länger. Das Wichtigste aber – er brachte mich zum Lächeln.
Männer ab 40: Nicht auf der Suche nach einer klassischen Beziehung
Mir wurde immer klarer, wonach ich irgendwie ein wenig gehungert habe: nach jemanden der echt und ehrlich ist. Da war nun dieser Mensch, mit einem ganz anderen Hintergrund. Eine starke Frau, die wusste was sie wollte – und noch viel wichtiger – was sie nicht wollte. Eine, die gerade dabei ist, sich selbst wieder zu entdecken. Die einiges an Lasten trägt, aber niemanden braucht, der für sie den Müll rausbringt. Für mich gibt es kaum etwas, was sexier ist, als ein Frau, die das Leben an der Mähne packt und es es dann lange und hart reitet – genauso, wie sie es will. Jemand, bei dem man sich ziemlich ins Zeug legen muss, um mithalten zu können.
Nachdem ich also ein Einblicke in die Seele dieses Menschen werfen konnte, wollte ich mehr. Ich wollte sie richtig kennenlernen. Allerdings habe ich mich seit einem guten Vierteljahrhundert nicht mehr so verabredet. Diese ganze Regeln und was da alles noch so mitschwingt bei einem Date, die kenne ich gar nicht mehr. Und ich war mir sicher, dass ich nicht offen für eine so genannte klassische “Beziehung” war, und so etwas weder jetzt, noch irgendwann später wieder wollte.
Vor dem Treffen schlugen mir meine Freunde vor, ich solle doch ein wenig vorsichtig sein. Nicht, dass ich in ordentlichen Stückchen in bunten Tupperdosen aufbewahrt in irgendeiner Tiefkühltruhe ende. Schließlich sei das Internet ja auch voller Leute mit merkwürdigen Absichten. Was ich erwartet habe? Na, ich bin alt genug, um es einfach darauf ankommen zu lassen. Der schon sehr persönliche Austausch in unseren Nachrichten gab mir die berechtigte Hoffnung, dass es schon sehr wahrscheinlich wäre, dass wir einen spektakulären Tag hätten. Aber es wurde dann doch so viel mehr als das.
So viel mehr als ein spektakulärer Tag
Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie es eigentlich zu diesem Kuss am Fleet kam. Wir standen da an diesem Kanal und in dieser warmen Sommernacht war plötzlich die ganz Welt um uns herum vergessen. Dieser Moment, in dem Zeit scheinbar stehenbleibt, weil man sich so unendlich mit jemanden verbunden fühlt. Ein Gefühl, das ich für immer verloren glaubte. Von dem ich dachte, dass man das nur mit 20-something erlebt. Und nun war es da. Und doch anders. Besser, denn der Druck, die Vergleiche, Urteile und die Erwartungshaltung waren weg.
Wenn man sich mit seinen Bürden so beschäftigt, wenn man vom zweiten ins letzte Kapitel des Lebens aufbricht, fängt man an, die Menschen um sich herum intensiver zu betrachten. Da gibt es diese unglaublich positiven Menschen, mit denen man tiefe, lange, gute und unkomplizierte Beziehungen hat. Menschen, die du zwar manchmal länger nicht siehst, aber die dir einfach nah bleiben. Einfach so. Und dann sind da die anderen. Die, deren Last dich jeden Tag nach unten zieht. Die, die ihre Probleme zu deinen machen. Menschen, die pathologisch unglücklich sind. Menschen, die dich nicht so akzeptieren, wie du bist. Und weil ich gerade dabei bin, meinen Ballast abzuwerfen, möchte ich diese Menschen nicht mehr in meinem Leben haben. Das ist nicht einfach, und gerade deswegen bin ich vorsichtig geworden, wen ich in mein Leben lasse.
In dieser sternenklaren Hamburger Nacht sah ich in die Augen einer Frau, die wirklich fröhlich und glücklich war. Eine, die nicht gerettet werden will und sich nicht über eine Beziehung definiert. Eine Frau, die vermutlich viel stärker ist, als sie glaubt. Die sich selbst erlaubte, sich fallen zu lassen, in dieser Sommernacht – in die Arme eines Mannes, den sie gerade erst kennengelernt hatte. Einfach, weil es sich richtig anfühlte. Männer, und da bin auch ich keine Ausnahme, machen sich meist weniger Gedanken über Beziehungen und darüber, was wohl als nächstes passiert, und ich musste das auch gar nicht, weil das, was gerade war, einfach wunderbar war.
Ich fand unerwartet das, was ich am meisten gesucht habe
Glücklicherweise hatten wir noch mehr gemeinsame Zeit, bis meine Geschäftsreise irgendwann unvermeidlich zu Ende ging. Wir teilten Sonnenblumenbrötchen und heißen Kaffee. Tranken Mädchen-Weizenbier, während wir unsere Zehen im warmen Sand am Meer verbuddelten – Augenblicke, bei denen ich ein Kribbeln im Bauch habe, wenn ich daran denke. Begegnungen, die meinen Blick auf mich und mein Leben geändert haben. Und mir so sehr klar aufzeigten, was ich als nächstes machen möchte und machen muss. Ich kam nach Hamburg, um erste vorsichtige Schritte aus der Blase heraus zu machen. Und dann passierte mir etwas völlig Unerwartetes: Jemand kam mir auf meinem Weg auf halber Strecke entgegen und gab mir das, was ich am meisten gesucht habe – eine aufrichtige Verbundenheit mit einem anderen Menschen auf Augenhöhe.
Das Leben geht weiter und auch Frauen und Männer ab 40 müssen irgendwann zurück in ihren Alltag. Nur so kann man auch wertvolle Augenblicke schätzen. Auf meinem langen Flug nahm ich etwas mit, das ich nicht dabei hatte, als ich in Deutschland ankam. Zurück in meiner Wahlheimat, in meinem Büro, an meinem Schreibtisch, wo ich das mache, was ich so liebe – weiß ich, dass es da jetzt einen besonderen Menschen gibt. Eine neue Freundin. Jemand, mit dem ich weiterhin meine Gedanken teilen kann, wenn auch jetzt aus ein paar tausend Kilometern Entfernung und mit neun Stunden Zeitunterschied. Jemand, den ich sehr wahrscheinlich wiedersehen werde – falls sie Zeit für mich hat.
Wie traurig, wenn man nach so langer Zeit feststellt, wie wenig bewusst man gelebt und entschieden hat, wie festgefahren man sich fühlt und dass man sich selbst “fast” verloren hat.
Umso schöner, wenn man das Ruder herumreißen und neu anfangen kann. Und dann noch mit so einem Glücksfall, der wie Schicksal anmutet und wunderbar daherkommt.
Ich gönne es euch von Herzen und freue mich über so viel Verbundenheit und Kribbeln im Bauch.
Liebe Grüße
Julia
Solltest Du verheiratet sein, dann bleib bei ihr. Es wird nicht besser mit einer neuen Liebe, allerdings teuer, wenn Du sie verlässt. Solltest Du frei sein, dann kauf Dir einen V12 oder besteige einen Berg. Im Alter wird der Sextrieb weniger. Der einzige Vorteil wenn ein Mann alt wird. Du kannst diesen Beitrag noch einmal in einem Jahr lesen. Das wird peinlich. Viel Glück.
Schade, dass Du so verletzt und enttäuscht von der Liebe bist, dass Du Dich und andere Männer davor schützen willst. Weißt Du, Nähe erfahren, dass ist ein Risiko, da kann man verletzt werden. Aber ohne Nähe ist alles nichts. Der V12 macht einen nicht glücklich und der bestiegene Berg auch nicht, wenn man allein ist und sich einsam fühlt.
“Und dann passierte mir etwas völlig Unerwartetes: Jemand kam mir auf meinem Weg auf halber Strecke entgegen und gab mir das, was ich am meisten gesucht habe – eine aufrichtige Verbundenheit mit einem anderen Menschen auf Augenhöhe.”
So viel Glück wünsche ich Dir auch. Dann kannst Du sicher auch wieder gönnen und Dich mitfreuen.
Hallo Jens!
Warum liest du diesen Blogpost überhaupt? Ist es vielleicht doch die Sehnsucht nach etwas, das keine Bergtour oder Autokauf ersetzen kann?
Ansonsten: Es gibt wunderbare Autoforen und Outdoorseiten – geh du einfach dorthin und lass andere hier glücklich sein – hier hat sie ihr Herz nämlich hingetragen.