Verena: Durchblick gefunden, Durchblick verloren
„Schau mir in die Augen, Kleines!“, sagt der Bogart zu der Bergmann. Tut er in Wirklichkeit natürlich nicht, das berühmte deutsche Zitat aus „Casablanca“ ist ein Übersetzungsfehler. „Here’s looking at you, kid“ heißt sinngemäß eher sowas wie „Prost, Süße.“ Aber das wusste ich nicht, damals mit 15, als ich für romantische Schwarzweißfilme schwärmte und mit etwa minus 2,5 Dioptrien in die Weltgeschichte blickte. Zumeist verschwommen. Ich wäre damals nämlich lieber nackt auf die Straße gegangen als mit der oberlehrerhaften Goldrandbrille, die mir in der Schule den Durchblick verschaffte. Den Jungs tief in die Augen schauen? Das konnte ja so nichts werden.
Deshalb leierte ich meiner Mutter schon als Teenager meine ersten Kontaktlinsen aus den Rippen, und habe seitdem gute Erfahrungen gemacht, sowohl mit den Jungs als auch mit dem Sehvermögen. Na ja: So ungefähr bis vor ein, zwei Jahren. Dann wurde es nämlich plötzlich schwierig. Vor allem in Kombinationen wie: halbdunkles Badezimmer, Beipackzettel mit 5-Punkt-Schrift. Typisch Sehsschwäche über 40. Dummerweise wirft meine einsetzende Altersweitsichtigkeit zunehmend einen Schatten auf die schöne Langzeitbeziehung mit meinen Linsen. Weil es Entfernungen, Schriftgrößen und Lichtverhältnisse gibt, in denen ich nichts mehr scharf gestellt bekomme. Arm gleichzeitig zu kurz und zu lang. Mein Mann (noch kurzsichtiger als ich) nimmt in solchen Momenten immer seine Brille ab. Problem gelöst. Und ich überlege, ob ich nicht zum Retrolook der frühen Achtziger zurückkehre. Inklusive Dame-Edna-Brille. Um dem Leben endlich wieder in allen Lagen fest ins Auge zu blicken. Im Zweifelsfall sogar in schummrigen Bars in Casablanca.
Esther und ihre erste Gleitsichtbrille: Sehschwäche über 40!
Es gibt Worte, die machen alt. Das schlimmste von ihnen ist: Gleitsichtbrille. F.Ü.R.C.H.T.E.R.L.I.C.H. Und theoretisch bräuchte ich auch gar keine. Bei mir betrug die Sehschwäche immer so irgendetwas zwischen minus 1,25 und 1,5. Das heißt: Brille trage ich nur beim Autofahren, im Kino, bei Vorträgen und so weiter. Und das Gute: Bei diesen Werten hebt sich das irgendwann mit der Altersweitsichtigkeit auf. Das heißt, ich lese heute noch ohne Brille am besten. Völlig ohne Anstrengung. Alles was mehr als zweieinhalb Meter entfernt liegt, bekommt von meinen Augen einen charmanten Weichzeichner verpasst. Und ich mag dieses Gefühl sogar. Ist doch cool, wenn die Augen einem vorgaukeln, dass alles fluffig, bunt und eben ein bisschen flauschiger ist. Ich muss nur meine Brille abnehmen und befinde mich im farbenprächtigen Einhornland. Irgendwie fiel es mir bei den letzten Autofahrten aber auf, dass sich was geändert hat. Ich erkannte die Schilder immer erst, wenn ich wenige Meter entfernt war.
Sehschwäche über 4o: Das mit den Gläsern wird komplizierter
Der Optiker bestätigte das komische Gefühl. Innerhalb von zwei Jahren hat sich mein linkes Auge von einer satten Dioptrie verabschiedet. Also musste die neue Brille her. Und ich wagte es, dieses scheußliche Wort auszusprechen. “Vielleicht sollte ich doch eine Gleitsichtbrille nehmen?” Dann muss ich mir meine nicht immer hoch in die Haare schieben, wenn ich mal aufs Handy schaue, was ja ständig ist. Also, bestellt und gekauft. Und das neue Teil macht mir gerade jetzt im Winter echte Freude. Draußen kann ich endlich mal die Mütze auflassen, verheddere mich nicht mehr mit den Händen zwischen Brillengestell, Mützefesthalten und Telefon bedienen. Wunderbar. Nur das Wort Gleitsichtbrille – das verwende ich höchst selten.
Silke: Zwei Brillen passen so schlecht lässig ins Haar
Im Sommer schiebe ich meine Sonnenbrille gern hoch in die Haare. Praktisch, ich weiß wo die Brille ist und muss mir auch gleich weniger Gedanken um meine Frisur machen. Und die typischen Zeichen für eine Sehschwäche über 40 fallen so kaum auf. Doch seit gut zwei Jahren habe ich da ein Problem. Da ist nämlich schon eine Brille. Theoretisch trage ich seit zehn Jahren eine Sehhilfe. Damals stellte ein Augenarzt fest, dass ich ein wenig weitsichtig war: auf einem Auge mit +0,25, auf dem anderen mit +0,75. Durch den Unterschied erzeugte langes Lesen oder Arbeiten am Bildschirm Kopfschmerzen. Also trug ich gelegentlich beim Arbeiten eine Brille. Dass ich einen Knick in der Optik habe, erfuhr ich damals auch – jahrzehntelang hielt ich mich für unfähig, was Ballspiele betrifft. Dabei habe ich eine Hornhautkrümmung, die das Sehen von auf mich zu fliegenden Objekten erschwert. Das Wissen kommt zu spät, die schlechten Schulsportnoten wegen absoluter Unfähigkeit im Volleyballspiel sind nicht mehr zu ändern.
Das duale Brillenproblem habe ich, weil meine Sicht nun schlechter geworden ist. Wenn es nur die Weitsicht wäre: Noch immer sehe ich in der Ferne gut. Nur das, was direkt vor meiner Nase ist, das ist ein wenig verschwommen. Am Rechner brauche ich nun wirklich immer eine Brille. Die schiebe ich hoch, wenn ich nicht lese. Im Sommer ist das dann ein wenig blöd. Weil es blendet, trage ich Sonnenbrille. Also habe ich zwei Brillen und Sonnen- und Lesebrille konkurrieren darum, wer Nase oder wer die Haare zieren darf. Eine getönte Gleitsichtbrille könnte eine Lösung sein. Aber noch geht es auch irgendwie so. Hüstel.
Bei einer Sehschwäche über 40 müssen es manchmal ein paar Brillen mehr sein
Was noch ein wenig nervt? Schummerlicht im Lokal. Heute macht es mich alt. Denn entweder muss ich meine Sehhilfe aus der Tasche kramen, wenn ich die Speisekarte entziffern will. Oder ich muss meine Arme ziemlich lang machen. “Soll ich dir meine Brille leihen?” Ein Satz der irgendwann ab 40plus das “Soll ich dir Feuer geben?” ersetzt hat. Oder es wird gemeinsam gerätselt, was bloß da auf dieser Karte stehen könnte. Das kann auch spannend sein …
P.S.: Falls jemand scharf auf eines dieser Brillengestelle ist – Esther hat sie in ihrem Lieblingsladen neonbox optics in Hamburg-Ottensen fotografiert.