Die Sims 4: Wenn Teenie-Töchter Leben spielen

„Die Wehen haben eingesetzt! Hurra, die Wehen haben eingesetzt!“ Wenn laute Jubelrufe dieser Art bis ins Treppenhaus unseres Altbaus schallen, dann kann das eigentlich nur zwei Gründe haben. Entweder, das Haus hat demnächst mal wieder einen neuen Mitbewohner (Hamburg-Ottensen ist einer dieser geburtenstarken Stadtteile, über die so gern gelästert wird). Oder meine Elfjährige sitzt mit ihrer besten Freundin vor dem Computer bei ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung. Beim Simulationsspiel „Die Sims“, mittlerweile in Version Nummer vier erhältlich, geht’s nämlich fast zu wie im richtigen Leben: so profan wie aufregend. Anders als bei handelsüblichen Computergames ist das Ziel nicht die blutrünstige Zerstörung eines Gegners, auch nicht der Betrieb einer perfekten Farm, sondern sich zu verlieben, Häuser zu bauen, Wohnzimmer umzudekorieren, Babys zu machen.

Die Sims 4

Den Kopf voller Quatsch und kluger Gedanken: so ist das Leben als Teenager (c) pixabay

Dass man online durch den Verzehr von Bananen beeinflussen kann, ob’s ein Junge oder Mädchen wird, ist natürlich glatter Unfug. Dafür sind die Optionen beim Flirten einigermaßen realistisch: Witze machen, Komplimente, kleine Berührungen wagen. Das ist nicht ganz falsch, da kann man was fürs Leben lernen, und wie in der harten Realität kann es auch ein bisschen dauern, bis aus zwei Auserwählten ein Paar wird. Mal faszinierend, mal frustrierend. Spätestens nach einer Stunde Spielzeit heißt es für meine Tochter trotzdem Hände weg vom Laptop, und auch wenn ich es ihr und ihren Freundinnen nie sagen würde: Ich kann ihren täglichen Protest, ihre Bitten und ihre Schmeichelei um Verlängerung („Mama, sie wird doch gleich schwanger!“) schon verstehen. Nicht, weil ich dieses Spiel an sich so großartig finde. Ist auch ein bisschen schlicht, dieses Lebensmodell, in dem nichts anderes zählt als möglichst zahlreiche Babys und möglichst coole Sofas. Aber ich weiß, warum das so einschlägt bei diesen Fünftklässlerinnen, bei denen plötzlich Körper, Geist und Seele nicht mehr recht zusammenpassen wollen.

Die Sims 4: Geschichten von der eigenen Zukunft

Denn wenn man elf ist, hat man ein Problem. Man ist nicht Fisch und nicht Fleisch, nichts Halbes und nichts Ganzes, kein Kind mehr, aber beileibe noch kein Erwachsener, ja, noch nicht mal ein richtiger Teenie. Was bisher Spaß gemacht hat – Lego bauen, malen, basteln – ist plötzlich uncool, für typische Teenie-Tätigkeiten – Lippenstifte im Drogeriemarkt ausprobieren und per WhatsApp Jungs durchhecheln – ist man noch zu klein. Ich weiß das, denn ich war auch mal elf. Genau wie meine Tochter konnte ich damals plötzlich nichts mehr mit mir anfangen. Und genau wie sie habe ich mir damals das beste Gegenmittel ausgedacht, das es gibt: Leben spielen. Erwachsen spielen. Zukunft vorwegnehmen mit Hilfe von Geschichten. Umgehen mit dem, das da irgendwann kommt, das so aufregend ist und gleichzeitig auch ein bisschen beängstigend. Als Kind des Vor-Computer-Zeitalters musste ich allerdings noch auf eine hundertprozentig analoge Spielform zurückgreifen: Barbies.

Die Sims 4

Nicht Fisch, nicht Fleisch: Pre-Teens sind irgendwo dazwischen (c) Verena Carl

Meine beste Freundin und ich hatten einen Haufen langbeinige Plastik-Beautys und konnten ganze Nachmittage, ganze Wochenenden damit verbringen, mit ihnen Geschichten zu erfinden. Die Handlung spielte meistens im Harem, aus ganz pragmatischen Gründen: Wir hatten einen deutlichen Frauenüberschuss und nur einen einzigen Mann, der einigermaßen zum Sex-Symbol taugte. Und, seien wir ehrlich, um nichts anderes ging es, auch wenn wir es selbst nur halb ahnten. Auch wenn wir gemeinsam spielten, lappte unsere Phantasie oft ein wenig ins Schlüpfrige. Spielte jede für sich, ging es richtig zur Sache, da wälzten sich schon mal zwei nackte Barbies im Puppenbett, wenn auch kurz und verschämt. Haben wir uns später irgendwann mal gestanden und sehr gelacht. Man kann vieles sagen gegen das fragwürdige Körperbild, das unsere Role Models da vor sich hertrugen. Aber als Symbole für unsere eigene, sich zaghaft entwickelnde Weiblichkeit waren sie einfach unschlagbar. Genau so, wie Helen und ihre Best Friends forever ihre Vorstellungen von der eigenen Zukunft jetzt im digitalen Raum Probe spielen. Velieben, entlieben, Nachwuchs oder auch nicht. Was soll man sonst schon tun mit elf?

Tee kochen, Top Ten mitschneiden? Laaaangweilig!

Was wir damals noch so gemacht haben, außer Barbiespielen? Parfümierten Tee aus Tonbechern ohne Henkel trinken. Oder mit Kassettenrekordern an der Top-Ten-Hitparade im Radio hängen und versuchen, Titel ohne Moderatorengequatsche mitzuschneiden. Hat auch Spaß gemacht. Aber ich glaube, damit muss ich Helen nicht kommen, wenn sie sich zwischen zwei Etappen Sims langweilt. Denn sie mag keinen Tee, und statt Kassetten und Radio gibt es Youtube. Ich fürchte also, es gibt für die nächsten Jahre einfach keine vernünftige Alternative zu den digitalen Jungs, und vielleicht ist das auch ganz gut so. Immerhin: Es sind auch die attraktiv, die man gedruckt zwischen zwei Buchdeckeln findet. Zauberschüler und so.

Ach, übrigens: Da ist noch jemand, der hier ab und zu durchs Treppenhaus jubelt, wenn bei den Sims-Ladys die Wehen einsetzen. Das ist mein Sohn. Und der ist mit seinen acht Jahren weit entfernt von frühpubertären Anwandlungen. Der spielt auch noch gerne Lego und sammelt Pokémon-Karten. Was der an diesem Fortpflanzungs- und Romanzenspiel findet? So ganz genau weiß ich’s nicht. Aber ich glaube: Das sind diese neuen Väter, von denen so viel die Rede ist. Bei so viel Baby-Begeisterung wird er seine Aufgabe später mal gut machen.

 

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