Spotlight Journalismus darf nicht kaputtgespart werden


Eigentlich wollte ich nur ein bisschen Boston sehen, als ich die Einladung zur Sneak-Preview von Spotlight bekam. Schließlich habe ich selbst dort mal ein Jahr gelebt und jeden Sonntag den gefühlt zehn Zentimeter dicken und fünf Kilo schweren Boston Globe gelesen. Und dann hat mich dieser Film so sehr bewegt wie kaum ein anderer. Worum es in Spotlight geht: Das Rechercheteam Spotlight vom Boston Globe deckt im Jahr 2001 den größten Kindesmissbrauch der katholischen Kirche auf. Der neue Chefredakteur Marty Baron (Liev Schreiber) hakt nach, als er in der Redaktionskonferenz von einem einzigen Missbrauchsfall hört. Marty Baron, der ganz neu in Boston ist, setzt sein Investigativteam Spotlight auf die Geschichte an.  Als Walter „Robby“ Robinson (Michael Keaton), der Leiter des Teams mit seinen Kollegen Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams), Matt Carroll (Brian d’Arcy James) und Ben Bradlee Jr. (John Slattery) die ersten Opfer zu interviewen beginnen, stoßen sie auf einen viel größeren Skandal.

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Das Spotlight-Team bei der Arbeit: Fakten checken, altes Material sichten, im Keller nach Unterlagen suchen

Ja, ja, so ein Journalistenfilm könnte man denken. Aber: Nein, das ist DER Journalistenfilm! Denn er zeigt wirklich alles, was guten Journalismus ausmacht und auch gleichzeitig, woran selbst gute Investigativmenschen trotzdem manchmal scheitern. Das ist für Schreiber mindestens genauso interessant wie für Leser. Denn es geht um Verstrickungen, Enthüllungen, Machtgefüge und darum, wie Opfer behandelt werden. In Spotlight wird schnell klar: So ganz neu sind die Vorwürfe nicht. Ein Opfer hatte schon Jahre zuvor Unterlagen eingereicht, immer wieder tauchten Meldungen auf. Trotzdem wurde nicht tiefer recherchiert. Die Nachricht ist im Grundrauschen des Tagesgeschäfts untergegangen. Und ziemlich wahrscheinlich an dem Einfluss der katholischen Kirche in Boston gescheitert.

Spotlight Journalismus braucht Mut

Erst als der neue Chef Baron  davon erfährt, wittert er die ganz große Geschichte. Und er zögert nicht, sich mit der Kirche anzulegen. Drohungen, Verstrickungen: All das prallt an ihm ab. Ihm geht es um den Skandal, der dahintersteckt. Und er riskiert eine Menge.

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Spotlight Journalismus: Mut tut gut! Das Film-Spotlight-Team mit ihrem Chef Baron (2. v. l.) deckt die Verhüllungsstrategien der Kirche auf

Spotlight Journalismus darf nicht kaputtgespart werden

Baron beauftragt sein bestes Team mit diesem Fall. Wochenlang recherchieren sie, interviewen zahlreiche Opfer, stöbern in Gerichtsakten. Solche großen Recherchen leisten sich inzwischen nur wenige Redaktionen. Und auch der Boston Globe, das gute alte Schlachtschiff, trudelt inzwischen von einem Verkauf zum nächsten und leidet unter Sparzwang. Die Zuschauer verfolgen das fast, als würden sie einen Krimi sehen. Denn es geht ja nicht nur um den Journalismus, sondern um die Gesellschaft und wie sie mit Wahrheiten umgeht.

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Rachel Mc Adams und die echte Sacha Pfeiffer vom Boston Globe

Recherche gestern und heute

Es bleibt spannend, wenn Rachel McAdams als Sacha Pfeiffer und Mark Ruffolo als Michael Rezendes  die Opfer treffen. Sie sprechen mit ihnen, versuchen zu verstehen und setzen mühsam kleine Teilchen zu einem Bild zusammen. Heute verschaffen sich Leser und Journalisten mit Twitter, Facebook, Instagram und Google einen Überblick über die Lage. Ist das gut? Ist das schlecht? Es kann beides sein. Wer sich nur auf Secondhand-Infos bezieht, läuft leicht in die Irre und publiziert Falsches. Die Gefahr ist groß, wenn die (bezahlte) Zeit immer knapper wird. Richard Gutjahr, für mich einer der wirklich guten deutschen Journalisten, hat ein kluges Fazit in puncto analogem vs. digitalem Journalismus gezogen. “Wenn wir Medien nicht länger analog oder digital denken, wenn es uns gelingt, das Beste aus beiden Welten neu zu kombinieren, könnte der Journalismus vor einer neuen Blütezeit stehen.”

Aber auch das geht nicht, wenn der Journalismus kaputtgespart wird. Für eine Titelgeschichte in einem großen deutschen Magazin ließ sich eine Kollegin vor zehn Jahren schon mal vier, fünf Wochen Zeit. Ich habe für dieses Heft selbst in den letzten Jahren einige geschrieben. Meist hatte ich drei, vier Tage, inklusive Recherche, Interviews und Schreiben.

Twitter: meine direkte Verbindung zu Sacha Pfeiffer

Spotlight Journalismus 2001 und heute. Kein Film hat mein Journalistenherz so berührt wie dieser, weil er zeigt, wie wichtig guter Journalismus für die Gesellschaft ist. Zu einer Zeit, in der Lügenpresse so oft wie nie zuvor als Vorwurf genutzt wird, zeigt Spotlight, dass guter Journalismus wichtiger denn je ist. Also schrieb ich einen kurzen Tweet.
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Ein paar Stunden später hat Sacha Pfeiffer meinen Tweet geliked. Ob es die echte war? Ich war mir unsicher und schrieb zurück.

 

Twitter Sacha Pfeiffer

 

Richard Gutjahrs Statement zum Film las ich erst einige Zeit später. Aber da war ich mir ganz sicher: Er hat Recht. Journalismus kann in der Kombination mit Google, Twitter und anderen Kanälen noch viel besser werden. Und nicht zuletzt sind wir alle Mediennutzer. Wir Journalisten und die Leser. Wir alle sind betroffen, wenn wir über Ungerechtigkeiten und Leid lesen, wir werden wütend, wenn Geschichten abgeschrieben und blind reproduziert werden und wir sind berührt, wenn Opfer endlich gehört werden. Genau deshalb fesselt Spotlight jeden Zuschauer, nicht nur Journalisten.

Na, habt Ihr Lust auf den Film bekommen? Auf www.spotlightthefilm.com gibt es noch mehr Infos.

Spotlight Journalismus – und noch eine dringende Leseempfehlung: Der Text von Richard Gutjahr!

 

 

2 Replies to “Spotlight Journalismus darf nicht kaputtgespart werden”

    • Esther Langmaack Author des Beitrags

      Danke dir! Ich liebe Filme, die zum Denken anregen. Spotlight ist auch in der Beziehung ein Paradebeispiel.

      Antwort

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