Diagnose Brustkrebs: Sterben kam für Nicole nicht in Frage

Blass sah Nicole Staudinger aus, als ich sie vor einem Jahr kennen lernte. Die Krankheit war ihr anzusehen. Sie hatte eine Glatze – und ein wunderbares breites Lächeln.  Wir haben eine gemeinsame Freundin, die uns einander vorstellte. Zusammen liefen wir drei über die Frankfurter Buchmesse, so viele Menschen, so viele Eindrücke. Lange Wege. Für mich war das anstrengend. Wie musste das für Nicole sein, die doch offensichtlich krank war?

Krebs ist ein Arschloch. Je älter ich werde, desto häufiger höre ich von so einer Diagnose, auch im engen Kreis. Ich wusste trotzdem nicht, ob ich Nicole direkt auf die Erkrankung ansprechen soll. Dann kam sie mir zuvor und erwähnte sie. Ganz direkt. Denn ihr Ziel auf der Buchmesse war eng verbunden mit ihrer Krankheit. Sie wollte ein Buch über ihre Erfahrungen mit dem Krebs veröffentlichen. „Das Schreiben ist für mich Therapie, aber ich will das nicht nur für mich. Ich möchte anderen Frauen Mut machen. Eine Krebsdiagnose ist Kacke. Aber man darf sich auch nicht bekloppt machen lassen und den Mut verlieren.“ Klare Worte. Wenig später unterschrieb sie einen Vertrag. Jetzt, im Herbst 2015, ist ihr Buch erschienen: „Brüste umständehalber abzugeben“, lautet der Titel. „Dass ich das schreiben durfte, hat mich so glücklich gemacht und mich auch in den schwierigen Phasen der Behandlung motiviert“, sagt sie heute.

Diagnose Brustkrebs: Ab jetzt gibt es immer ein Leben “vor” und “nach” dem Tumorfund

Ihr Buch beginnt mit jenem Moment an ihrem 32. Geburtstag, als sie unter der Dusche einen Knoten in der rechen Brust spürt. Bestimmt harmlos, oder? Besorgt ist sie schon, denn zwei Jahre zuvor hatte sie schwarzen Hautkrebs. Sie möchte schnell Gewissheit habe und besucht nicht ihre vertraute Frauenärztin, sondern einen Gynäkologen in der Nachbarschaft. Der ist wenig sensibel. „Oha! Jetzt haben Sie aber ein Riesenproblem.“ Es ist ein Tumor. Panik kommt hoch, sie hat Todesangst. Ihre Söhne sind noch so klein, gerade zwei und fünf Jahre alt. Sterben – das geht doch nicht! Der Arzt ist genervt. Schroff erklärt er, dass sie die weitere Diagnose vom Facharzt abwarten solle. „In ihrer Haut möchte ich nicht stecken!“ ruft er noch zum Abschied, als Nicole tränenüberströmt seine Praxis verlässt.

Die Worte des Arztes zerstören Nicoles heile Welt. „Ich habe genau das Leben geführt, dass ich mir immer wünschte.“ Sie ist glücklich verheiratet, die Söhne gehen in einen Kindergarten, der Große kommt bald in die Schule. Mit Seminaren zum Thema Schlagfertigkeit hatte Nicole Staudinger sich sehr geplant selbstständig gemacht, um mehr Zeit für die Kinder zu haben. Mit Erfolg, ihre Seminare sind gefragt. Nach dem Besuch beim Arzt wird sie von ihrer Familie, ihrem Mann und ihren Eltern aufgefangen. Doch die Sorge bleibt: Mit welchem Gegner habe ich es überhaupt zu tun? „Das Kopfkino war sehr schlimm. Und manchmal so makaber, dass ich über mich selbst lachen musste.“

Nicole hat Brustkrebs. Der Tumor bekommt einen Namen: Karl Arsch. Und der muss weg. Doch vor dem Behandlungstart ist zunächst alles in der Schwebe, zuerst stehen noch zwei genau Untersuchungen an, damit ein exakter Therapieplan gemacht werden kann. Für Nicole ist plötzlich der Umgang mit den eigenen Kindern schwierig. Böse Gedanke kommen hoch – ist es vielleicht besser, wenn sie sich schon von ihrer Mutter entwöhnen? Soll sie überhaupt über die Krankheit sprechen? Der zweijährige Constantin ist dazu zu klein, aber was ist mit dem fünfjährigen Max? Der spürt deutlich, das etwas nicht in Ordung ist. Nicole lässt sich von der Erzieherin ihres Sohnes beraten. Die rät dazu ehrlich zu sein, die Krankheit aber kindgerecht zu erklärten. Nicole erklärt ihrem Sohn, das sie krank ist. “Meine Brust ist krank. Da wächst etwas, das da nicht hingehört.” “Blumen?” “Nein, eine Art Knoten.” Sie verweist auf eine Erzieherin die an Krebs erkrankte, jetzt aber gesund ist. Ob er sich noch erinnert, dass die oft müde und erschöpft war? “Ich bekomme jetzt auch Medikamente, die mich sehr müde machen. Dafür machen die mich auch wieder gesund.” “Bist du traurig deswegen?” fragt Max.  “Sehr traurig und wütend.” “Ich auch! Kann ich jetzt zu Tom gehen?” Danach fragt Max jeden Tag nach der Brust.

Diagnose Brustkrebs: Nicole kämpfte mit Erfolg gegen Karl Arsch

Während der Chemotherapie, links. Einschulung von Max, zwischen den Bestrahlungen, recht. © privat, Sylvia Kroll

 

Ein Leben zwischen Alltag mit Kindern, warten und Chemotherapien

Nicole hat zunächst ambulante Chemotherapien und weitere Untersuchungen. Genau wie Angelina Jolie ist sie Trägerin eines Gens, das besonders reagiert. Auch Nicole entscheidet sich dafür, ihre Brüste – und auch ihre Eierstöcke – entfernen zu lassen. Auch Nicole bekommt neue Brüste.  „Sehr praktisch, denn jetzt habe ich meinen Traumbusen und brauche nie wieder einen BH. Die stehen wie eine Eins.“ Nicole will das positiv sehen. Ihre Körbchengröße H gefiel ihr nicht sonderlich. Sie hatte seit Jahren an eine Brustverkleinerung gedacht. “Immerhin auf Kosten der Krankenkassse kleine, straffe Brüste. In D.” Es stand für Nicole nie außer Frage, dass sie alles tut, damit nicht nur Karl Arsch verschwindet, sondern auch weiterer Krebs keine Chance hat. Auch wenn sie nun schon so vorzeitig in den Wechseljahren ist. „Das ist halt so, da muss ich durch.“ Sie lacht. “Eine Alternative gibt es gar nicht.”

Die Chemotherapie schlägt gut an, das erfährt sie an genau dem Tag, als sie ihre Haare verliert. „Wir Frauen sind so viel mehr als nur Brüste und Haare!“ Ihre Weiblichkeit definiert sie nicht über Äußerlichkeiten. Die Perücke fühlt sich nicht gut an, also trägt sie sie kaum. Schön ist Nicole trotzdem. Sie lässt sich mit Glatze fotografieren, versteckt sich nicht. Von Karl Arsch will sie sich nichts diktieren lassen. Auch wenn es ihr in einigen Phasen schlecht geht.

Es gibt Lichtblicke, sie hat keine Metastasen. “Das ist zwar große Kacke, aber kalkulierbare Kacke”, erklärt der Arzt am Brustkrebszentrum. Eine direkte Sprache und offene Worte, wie Nicole sie schätzt. Sie will lieber Galgenhumor statt Grabesstille. “Sie zollen der Krankheit keinen Respekt“, erklärt einer ihrer neuen Ärzte und meint das durchaus als Kompliment. „Nach meiner ersten Erfahrung war es für mich wichtig, dass ich Mediziner gefunden habe, denen ich vertrauen kann.“ Sie will möglichst wenig fremdbestimmt sein. Nicoles erklärtes Ziel ist es, mit ihrem Mann alt zu werden, die Enkelkinder auf dem Schoß zu schaukeln. Lachen ist für Nicole wichtig. Ihre beste Medizin? „Meine Kinder. Der Alltag mit den beiden, die Einschulungsfeier.“

Diagnose Brustkrebs - Nicole sagte Karl Arsch den Kampf an

Nicole im Sommer 2015 mit ihren Söhnen © Lena Böhm

 

Karl Arsch ist verschwunden, doch die Angst nicht

Es war ein harter Weg. Auch wenn sich Nicoles Buch an vielen Stellen lustig liest, sie über sich selbst lachen kann und das Absurde in vielen Situationen wunderbar schildert – das Lachen bleibt beim Lesen oft im Hals stecken. Denn nicht alle Frauen, die sie auf ihrem gemeinsamen Behandlungsweg trifft, überleben. Ihr Buch will Mut machen, ist offen und direkt, so wie sie selbst. Aber es färbt auch nicht schön. Auch für Nicole war es schwer. „Todesangst und Kotzen sind einfach nicht witzig,“ sagt sie.

Heute ist Nicole gesund. Karl Arsch ist weg. Ein Teil der Angst ist geblieben. „Natürlich habe ich dunkle Tage. Auch als ich sehr krank war, hatte ich Phasen, in denen ich mich bedauert habe. Das darf auch sein.“ Jetzt aber will Nicole Staudinger gesund sein. Nach vorn gucken „Ich weiß, dass ich sterben muss. Irgendwann. Aber nicht jetzt. Ich könnte ja auch morgen einen Autounfall haben. Das weiß doch keiner. Aber heute geht es mir gut. Ich stehe auf und mir ist nicht schlecht. Ich kann die Sonne genießen. Kann mit den Jungen auf den Spielplatz und einfach den Augenblick genießen.“

Nicole-Staudinger: Buch

One Reply to “Diagnose Brustkrebs: Sterben kam für Nicole nicht in Frage”

  1. Esther Nyfeler

    Liebe Nicole
    Nachdem ich das Gröbste hinter mir hatte und mit meinem Mann im Wohnmobil durch die Toskana kurvte, habe ich dein Buch gelesen. Vieles kam mir sehr bekannt vor, da ich ja auch diese Scheissdiagnose vor eineinhalb Jahren erhalten habe. Oft liefen mir die Tränen runter bei der Lektüre, ab und zu musste ich schmunzeln ab deinen Kommentaren. Hut ab wie du die Sache angepackt hast. Ich bin zwar schon 63 Jahre alt, möchte aber mein Leben auch noch etwas geniessen, vor allem meine vier Enkelkinder, die mir immer viel Freude bereiten. Meine Chemos sind abgeschlossen, OP und Bestrahlung auch. Jetzt einfach nicht aufgeben!
    Ich wünsche dir für die Zukunft alles Gute und behalte deinen Humor!
    Liebe Grüsse aus der Schweiz
    Esthi Nyfeler

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