Verliebt in einen Narzissten: Warum das auch gestandenen Frauen passiert

Am Anfang ist er charmant und sexy, später lieblos und manipulierend: Dieses Muster kennen viele Frauen aus leidvollen Beziehungen. Unter Narzissten leiden aber nicht nur naive 20-Jährige, sondern auch gestandene 40-something-Frauen. Die Hamburger Therapeutin Vera Kaesemann und der Autor Andreas Heineke haben über einen solchen Fall ein Buch geschrieben

Das Thema: Wenn er einen Raum betritt, zieht er alle Blicke auf sich. Er weiß, wie man gezielt Komplimente macht und kluge Fragen stellt, er hat Geschmack und Stil im Übermaß, und wenn eine Frau ihm gefällt, dann setzt er alles dran, um sie zu erobern. Doch häufig erweist sich der Ritter auf dem weißen Pferd als Narzisst der übelsten Sorte: manipulativ und kalt, lieblos und beziehungsunfähig. Auch nicht selten, dass solche Männer gleich mehrere Liebschaften parallel führen und eine ausgeklügelte Logistik bemühen, damit die Mehrgleisigkeit nicht auffliegt. Das Perfide: Selbst wenn die betrogene Frau ihn schließlich durchschaut, bringt sie es häufig nicht fertig, den Kontakt radikal abzubrechen, sondern flüchtet sich in unerfüllbare Rettungsphantasien – „der arme Mann muss im Inneren tief verletzt sein, und ich kann ihm helfen!“ Teil eins stimmt tatsächlich, Teil zwei leider nicht, sagt die Hamburger Psychotherapeutin Vera Kaesemann: „Narzissten erkennen niemals das Problem bei sich selbst, und sind kaum zu therapieren. Aber zu einer solchen unglücklichen Verstrickung gehören immer zwei: der manipulative Mann, und die Frau, die in eine Art Ko-Abhängigkeit gerät, weil auch sie eine narzisstische Verletzung trägt.“ Männlicher Narzissmus, so die Expertin, hat seine Ursachen tatsächlich häufig in der frühen Kindheit: Vor allem die Erfahrung von Verlassenheit und mangelnder Geborgenheit scheint einen solchen Charakterzug zu befördern, möglicherweise gibt es zusätzlich auch eine genetische Komponente. Umgekehrt lassen sich vor allem Frauen einwickeln, die ein dazu passendes, fatales Muster in ihrer eigenen Kindheit gelernt haben: Liebe ist an Bedingungen geknüpft, es gibt sie nur gegen Anpassung und Wohlverhalten. Neben den persönlichen Dramen ist Narzissmus aber auch ein gesellschaftliches Thema, findet Vera Kaesemann: „Unsere Gesellschaft mit ihrem Hang zur Selbstdarstellung bis zur Selbstentblößung wird insgesamt immer narzisstischer!“

Selten süß, oft bitter: die Liebe zu einem Narzissten (c) Verena Carl

Selten süß, oft bitter: die Liebe zu einem Narzissten (c) Verena Carl

Der Fall: Wer fällt denn auf einen solchen charmanten Schaumschläger herein – doch sicherlich nur naive Mäuschen, die noch an den Märchenprinzen glauben? Weit gefehlt, sagt Vera Kaesemann – auch Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, sind vor einer solchen Erfahrung nicht gefeit. Gemeinsam mit dem Hamburger Roman- und TV-Autor Andreas Heineke schildert Kaesemann einen solchen Fall in Buchform, basierend auf der Erfahrung einer realen Patientin, die ihrer Therapeutin erlaubt hat, diese Geschichte zu veröffentlichen, wenn auch in verfremdeter Form. Die Frau – im Buch heißt sie Sarah – ist Anfang 40, geschieden, Mutter einer erwachsenen Tochter, Inhaberin einer gut gehenden Werbeagentur und sicherlich nicht der Typ, der dem nächstbesten Heiratsschwindler verfallen würde. Dennoch gerät sie immer mehr in den Bann des geheimnisvollen, gut aussehenden Maximilian, verdrängt ihre Zweifel bis zum bitteren Ende, schafft es aber in der anschließenden Therapie, ihren eigenen Anteil am Scheitern dieser unmöglichen Liebesgeschichte zu erkennen und sich für die Zukunft besser zu wappnen. Wenigstens vorerst…

Verliebt in einen Narzissten: süße Schauer und schnelle Pferde

Das Buch: Hölle, Hölle, Hölle – es ist der Wahnsinn mit diesem maximalen Kerl. Ständig Champagner trinken, zu Poloturnieren jetten, und dann auch noch diese Penthousewohnung, in der man Sex haben und dabei den Blick über Berlin genießen kann. Da müssen einem ja permanent „Schauer der Lust“ (O-Ton der Autoren) über den Rücken laufen. Klingt ein wenig nach Lore-Roman? Nun ja. Es gibt keinen Grund, an der Echtheit des geschilderten Falls zu zweifeln – manchmal ist das Leben ja klischeehafter als die Wirklichkeit. Leider wirkt die Geschichte deshalb an vielen Stellen aber trotzdem unglaubwürdig und übertrieben dick aufgetragen. Vor allem spielt sie in einer Sphäre, mit der sich wohl die wenigsten Leserinnen identifizieren können. Agenturchefin meets Musiklabel-Boss, man vögelt sich einmal um die Welt und weint dann ins Satinkissen? Das ist nicht so sarkastisch gemeint, wie es klingt, Liebeskummer schmerzt bekanntlich in allen Gehaltsklassen gleichermaßen und ist kein Luxusproblem. Aber sehr viel Wiedererkennungswert bietet die Story deshalb nicht. Dabei können wir von 40-something nach einer nicht-repräsentativen Umfrage in unserem Umfeld bestätigen: Narzissten gibt es nicht nur unter Alphamännern in Führungsetagen, sondern auch unter turnschuhtragenden Berufseinsteigern, WG-bewohnenden Musikern und literaturbegeisterten Bohemiens.

Verliebt in einen Narzissten

Autorenduo Kaesemann und Heineke mit Verena (li) und Esther (re) (c) Verena Carl

Warum sich das Lesen (trotzdem) lohnt: Weniger wegen der erzählten Geschichte, eher wegen des anschließenden Therapieteils inklusive Selbsttest. Vor allem die Frage, welche eigenen Muster Frauen anfällig machen für Narzissten, geht viele Frauen an. Da steht auch nochmal, woran man diesen Typus erkennt. Ich kannte mal einen, der trug gern ein T-Shirt mit dem kokett selbstironischen Aufdruck „Ich hab doch gar nichts gemacht.“ Auch ein ziemlich sicheres Kennzeichen – aber so einfach machen es einem nicht alle.

 

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