Auf der schiefen Bahn

Der Hamburger Newcomerin Kristine Bilkau und ihrer Wiener Autorinnenkollegin Doris Knecht gelingt in diesem Bücherfrühling ein erstaunliches Doppelkunststück: Unabhängig voneinander machen sie in ihren neuen Romanen die Abstiegsängste der Mittelschicht zum Thema – und zwar pointiert, unterhaltsam und gleichzeitig auf hohem literarischen Niveau

 Was tun, wenn Fleiß und Zähigkeit allein nichts mehr nutzen? Wenn Menschen, die alles richtig gemacht haben – von der Ausbildung über die Wahl des Lebenspartners bis zur Wohnung im angesagten Stadtviertel – nicht in der gemächlichen Sicherheit der mittleren Jahre ankommen, sondern unaufhaltsam gegen das eigene Abrutschen anstrampeln müssen? Und wie tief ist unser Leben von den Zwängen einer globalisierten Wirtschaft geprägt: Spüren wir es erst dann, wenn wir Opfer einer Massenentlassung werden, oder schon, wenn eine Frau sich auf einen zweifelhaften Deal mit einem wohlhabenden Gönner einlässt, den sie mit Sex bezahlt? Gleich zwei Romane sind es, die so kluge wie originelle Antworten auf diese aktuellen Fragen stellen, beide geschrieben von Frauen um die vierzig. Beide so, dass man beim Lesen denkt: Egal, wie viel autobiographisches darin steckt – diese Autorinnen wissen jedenfalls sehr genau, wovon sie schreiben.

© Luchterhand

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Im Kristine Bilkaus Erstlingsroman „Die Glücklichen“ (sie fiel in den letzten Jahren bereits als Finalistin des Berliner Open Mike und Trägerin des Hamburger Literaturförderpreises auf), ist es ein Paar in den Dreißigern, mit kleinem Kind, in der prototypischen Altbauwohnung im ebenso typischen Gentrifizierungsbezirk, das plötzlich vor unerwarteten Existenzsorgen steht: Er verliert seinen Redakteursjob bei einem großen Hamburger Medienkonzern (Parallelen zur jüngsten Entlassungswelle bei Gruner & Jahr mögen nicht ganz zufällig sein), sie ihr Engagement als Cellistin bei einem Orchester, weil sie nach der Rückkehr aus der Babypause ein unerklärliches Zittern überfällt. Mal gemeinsam, mal jeder für sich suchen sie nach Auswegen aus der Misere, zwischen dem sehnlichen Wunsch, das gewohnte Niveau halten zu können und der resignierten Suche nach Alternativen: Wie war das noch mal mit den Immobilienpreisen außerhalb der Großstadt? Nicht überraschend, dass diese Situation auch zur Zerreißprobe für die Partnerschaft wird, dass beide genötigt sind, ihre Vorstellungen von Verantwortung und finanzieller Zuständigkeit zu überdenken. Keine spektakuläre Geschichte, dafür schmerzlich bekannt in ihrer Lebensnähe, und sprachlich in brillante, niemals kitschige Bilder verpackt.

Scharfzüngiger, bisweilen bösartiger und mit größerer Fallhöhe hat die bekannte österreichische Romanschriftstellerin und Ex-„Falter“-Journalistin Doris Knecht „Wald“ angelegt, die Story einer ehemals gefragen Modedesignerin Anfang 40. Diese scheitert im Fahrwasser der Finanzkrise von 2008, zusätzlich geschwächt von einer unglücklichen Liebesgeschichte, und zieht sich in ein ererbtes, heruntergekommenes Haus einer verstorbenen Tante zurück, in die Vorarlberger Provinz – vorübergehend, wie sie sich selbst in die Tasche lügt. Die Geschichte geht ans Eingemachte, und zwar buchstäblich: Nicht nur, dass die verwöhnte Stadtpflanze den ersten Winter nur dank der Einweckgläser ihrer Tante überlebt, sie ist auch auf die Gunst des örtlichen Großgrundbesitzers angewiesen, der sie nicht wegen Wilderei anzeigt, aber dafür durchaus Gegenleistungen erwartet.

©Rowohlt

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Beide Romane sind auf ihre Weise kluge Reflexionen über die zentralen Themen der letzten Jahre: nicht nur über die Frage, wie sehr wir es zulassen, dass wirtschaftliche Interessen selbst unserer intimsten Lebensbereiche durchdringen, auch über das zerbrechliche Gefüge von Geschlechterbeziehungen, in denen nichts mehr selbstverständlich ist, über ein neues Verständnis von Elternschaft und über die tiefe Sehnsucht nach einem einfacheren, naturverbundenen, technik-fernen Leben. So unterschiedlich der Stil, so unterhaltsam liest sich das weg – was kein Zeichen für Oberflächlichkeit ist, sondern im Gegenteil für eine besondere sprachliche Genauigkeit und Konstruktion. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Weder Bilkau noch Knecht präsentieren die simple Groschenheft-Moral, die man bei einer solchen Geschichte erwarten könnte. Denn nichts wäre leichter gewesen, als fromme Legenden von Geläuterten zu erzählen, die schließlich die Einfachheit und die wahren Werte zu schätzen lernen. Frisches Landbrot, Sonnenuntergänge, den Charme eines natürlich gealterten Gesichtes, statt den oberflächlichen Verlockungen der Großstadtszene. Ja, von wegen: Vor allem Doris Knechts Roman ist auch ein einziger, melancholischer Abgesang auf die Freuden des Luxus. Auch wenn ihre Heldin die selbst gekochte Johannesbeermarmelade zu schätzen lernt, wird sie doch nie ganz ihre Sehnsucht nach dem richtigen Champagner, dem „sauteuren“ japanischen Augenfältchenpeeling, einer Shiatsumassage und einem Paar Killer-Heels los. Und auch Kristine Bilkaus Figuren lassen keinen Zweifel daran, dass es ganz schön angenehm ist, im Feinkostladen einzukaufen oder in der kalten Jahreszeit in den Süden fliegen zu können.

Klar: Das könnte man als Jammern auf hohem Niveau bezeichnen. Aber auch als treffende Innenschau einer Generation, für die der Wohlstand erstmals nach dem letzten großen Krieg nicht mehr selbstverständlich ist, und die einige lieb gewonnenen Gewissheiten über Bord werfen muss, um weiterleben zu können. Es scheint, als hätte die zeitgenössische Literatur ein neues, großes Thema gefunden.

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