Sex im Zustellbett

Pubertät – war das nicht mal die Zeit der Abgrenzung und der Rebellion? Verena Carl wundert sich. Aber nur ein bisschen.

Früher war überhaupt nichts besser. Aber übersichtlicher – doch, das war es schon. Am Goethe-Gymnasium meiner Heimatstadt sah man schon auf dem Pausenhof oder in der Raucherecke (doch, die gab es 1986 noch!) wes Geistes Kind das Gegenüber war, und zwar auf den ersten Blick. Normalos in Fruit-of-the-Loom-Shirts, Popper mit gelben Sweatshirtjacken, Punks, die ihre Frisur mit Ganter-Pilsener stylten, Müslis im Blümchenschlabber, und natürlich Gruftis, die im August stoisch unter schwarzen Schwalbenschwanzmänteln schwitzten.

Die Lager zu wechseln, war möglich, aber schwierig. Ich erinnere mich gut an einen Sommer, in dem ich mit einem paar schwarzer, spitzer, schnallenbesetzter Kunststofftreter und einer The-Cure-Cassette von einer Klassenreise aus England zurückkam, wild entschlossen, zum Gruftitum zu konvertieren. Leider passten die Schuhe nicht zu meinen rosa getupften Tops und The Cure nicht zu Tina Turner und Madonna. Bei alledem war es damals noch sowohl erwünscht wie möglich, Eltern oder Großeltern zu schockieren – da reichte es schon, sich über Nacht die Haare zu flechten und tags mit den aufgedrisselten Löckchen herumzulaufen wie ein explodierter Staubwedel. Heute sind die Punks, Gruftis und Hardcore-Ökos von damals Eltern, und entsprechend schwer zu beeindrucken.

Haben die Teenager deshalb einfach resigniert? Ich gebe zu, ich habe mal einen Nachmittag lang versucht, mit Hilfe der Typologie einer Nachrichtenwebsite die Unterschiede zwischen Emos und Visus herauszufinden und habe dabei Feldstudien im örtlichen Coffeeshop betrieben. Vergebens. Vielleicht sind mir auch die Codes zu subtil: ob es wohl etwas bedeutet, ob das Totenkopfkettchen schwarz oder silbern ist? Beim Anblick der leicht verwechselbaren Pubertiere fühlte ich mich selbst reichlich unverstanden – ein verunsichertes Mubertier, wie es meine geschätzte Kollegin Anke Willers nennt. Wollen die sich gar nicht mehr unterscheiden? Abhauen, abgrenzen, die Welt neu erfinden? Ja, wo kommen wir denn da hin, wenn nicht mal 15jährige noch für eine ordentliche Rebellion gut sind?

Ist Urlaub mit den Eltern heute cool? ©A. Göttlicher

Ist Urlaub mit den Eltern heute cool? ©A. Göttlicher

Dann erzählte mir auch noch eine Bekannte, dass ihr Sohn gerne seine Freundin mitnehmen wollte in den sommerlichen Familienurlaub. Ich dachte an Teenager-Sex im Beistellbett und wunderte mich noch mehr. Hatten die denn gar kein Bedürfnis nach Alleinsein, nach Abenteuer, nach Fahrten ins Blaue in uralten Autos und Nächten auf der Rückbank? Würden aus meinen Grundschulkindern in ein paar Jahren auch derart zahme Wesen werden?

Zwei Beobachtungen waren es schließlich, die mich beruhigten. Von der „Flucht ins Digitale“ spricht Christine Henry-Huthmacher, die familienpolitische Koordinatorin der Konrad-Adenauer-Stiftung. Und meint damit nichts anderes als das: Es ist heute so einfach wie nie zu vor, in fremde Welten einzutauchen oder mit der Gefahr zu flirten, es braucht nur ein W-Lan und ein eigenes Smartphone. Während wir früher noch unter Elternprotest das Haus verließen, um uns in irgendeinem Punkschuppen herumzutreiben, in dem angeblich schon mal ein Joint gesichtet worden war. Klar, auch wir machten die Tür zu, wen wir das Telefon am langen Kabel in unser Zimmer zerrten und stundenlang mit der besten Freundin Ausgeh-Vorbesprechungen und Nachbesprechungen erledigten. Aber unsere Mütter auf dem Flur hörten trotzdem jedes Wort.

Vor allem aber haben Teenager heute ganz eigene Helden in einer Parallelwelt, von der Menschen über 35 meist gar nichts ahnen. Natürlich weiß ich, dass Youtube eine der am schnellsten wachsenden Plattformen im Internet ist. Aber ich dachte immer, das sei vor allem dazu gut, Politiker-Wutreden  zu suchen oder die herrlich schlecht gemachten Videoclips unserer eigenen Teenagerzeit (erinnert sich noch jemand an „You might think“ von den Cars? Bluescreen-Effekte von 1984? Die Band auf dem Badewannenschwamm vor der Angebeteten? Von wegen: Die Jugend guckt Schmink-Tutorials und Lebenstipps vom Slimani-Clan. Übrigens ungefähr so wild und gefährlich wie Katzenfotos auf Facebook.

Darüber kann man sich lustig machen. Muss man aber nicht. Denn es zeigt mir eins: Der gute alte Mechanismus von Abgrenzung und Rebellion, er funktioniert eben doch noch ausgezeichnet. Denn wenn man uns Kinder der Achtziger mit irgend etwas wirklich schocken kann, dann sind es Dinge wie diese: Schmink-Tutorials mit Produkttipps gucken, den Freund mit ins Kinderhotel auf Mallorca nehmen, schließlich zu Hause wohnen bleiben bis anno dunnemal oder, Gipfel der Dreistigkeit, mit 25 dann die erste Liebe heiraten. Also ich, ich wäre fassunglos. Das heißt: Alles ist in schönster Ordnung.

2 Replies to “Sex im Zustellbett”

  1. Claudia Schulz

    Haha – mir aus den Herzen gesprochen. Bin “Betroffene” also Mutter, 48 J, mit “Pubertier” (weiblich, 15 J) und genau so ist es! Blog gefällt mir!! Gucke ich gern öfter mal rein!

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