Eine Familienangelegenheit

In manchen Urlaubshotels haben hauptsächlich die Kinder ihren Spaß. In anderen hauptsächlich die Eltern. Und dann ist da noch das Familienhotel des ehemaligen Ski-Stars Gustav Thöni. Das fühlt sich an wie Nach-Hause-Kommen – egal, in welchem Alter

 Spaßbäder und Freizeitparks? Mag ich nicht. Ferienclubs und Kreuzfahrtschiffe? Nur, wenn man mich dafür bezahlt. Familienhotels? Ach, nee. Bonbonbunte Synthetikwelten, in denen schon beim Frühstück lebende Clowns und Zuckerflocken in allen Farben drohen. Glaubte ich jedenfalls immer. Bis zu dem Sommertag, an dem mein Mann und ich tiefenentspannt auf der Terrasse des Bellavista im Dorf Trafoi standen, während unsere Kinder quietschend ein Holzfloß über einen Teich zogen. Da dachte ich: Wenn das ein Familienhotel ist, dann will ich nie wieder weg. Wenigstens nicht so schnell.

Denn Familie, das ist hier mehr als eine Geschäftsidee, sondern eine Lebensform. Urlaub, gemacht von Menschen mit Kindern für Menschen mit Kindern. Da ist zum einen der Seniorchef Gustav Thöni, Ski-Legende der 70er Jahre, Ex-Weltmeister und Olympiasieger. Ein drahtiger, sportlicher Großvater, der im Sommer für die Gästekinder Pfeil und Bogen schnitzt und im Winter mit zum Skifahren kommt. Trafoi ist seine Heimat. Im Hotel ist er selbst aufgewachsen, als Sohn eines weitsichtigen Gastgeberpaares, das in den 50er Jahren gemeinsam mit anderen Sportpionieren für den ersten Sessellift im Tal sorgte. Ein freundlicher, wortkarger Mann, der wenig mit seinen Erfolgen prahlt. Der aber unaufdringlich dafür sorgt, dass man sie nicht vergisst: von den Schwarzweiß-Siegerfotos im Treppenhaus bis zu seinem Lieblingswein, einem roten St. Magdalener, der als „Thöni-Wein“ auf der Getränkekarte steht und einen Skifahrer im Etikett hat. Wenn’s ums Plaudern geht, ums Kümmern und Nachfragen, sind eher seine Frau Ingrid und seine Tochter zuständig, Juniorchefin Petra. Alpine Powerfrauen mit einem Strahlen in den Augen, das man nicht an der Hotelfachschule lernt, und einem Look, als kämen sie gerade von einem Fotoshooting für exklusive Landhausmode. Petras Mann Stefan organisiert Kletterausflüge, Brettljausen am Berg und Weinproben am Abend. Und dann gibt es noch ihre Kinder, zwischen vier und zwölf Jahren alt. Die sammeln im Hotel während der Ferienmonate so viele neue Freundschaften, dass sie eigentlich keine weiteren Social Networks brauchen.

Bilderbuchfamilie, Bilderbuchort. Der Blick von der Terrasse oder durch die Panoramafenster hindurch über Bergwiesen voll Klee, Butterblumen und Frauenschuh bis zum Madatsch-Gletscher ist „Bella Vista“ in XL. Wozu höher hinauswandern? Schöner wird’s nicht mehr. Und stiller kaum. Alles, was man hört, ist das gelegentliche Sirren eines Rennrades auf der Serpentinenstraße in Richtung Reschenpass. Das blecherne Glöckchen der Dorfkirche. Den Ruf einer Dohle. Und im Winter? Kamingemütlichkeit statt Longdrink-Hüttenzauber, ein kleines, familiäres Skigebiet für Genußfahrer.

Blick Bellavista auf Madatschgletscher

Es gab eine Zeit, um die vorletzte Jahrhundertwende, da war das abgelegene Hochtal-Dorf im Naturpark Stilfser Joch Treffpunkt der europäischen Hautevolee. Illustre Gäste wie Sigmund Freund und Stefan Zweig ließen sich Tee auf Waldlichtungen servieren und promenierten zwischen Latschenkiefern. Für nicht ganz so Betuchte eröffnete schon 1875 der ursprüngliche Gasthof „Schöne Aussicht.“ Das Grand Hotel ist längst Geschichte, Promis und Geistesgrößen ebenfalls, das „Bella Vista“ ist immer noch da. Und strahlt seit der letzten Renovierung 2011 ein entspanntes Heimatgefühl aus, gemütlich und cool zugleich. Ein lässig drapiertes Kuhfell hier, eine Natursteinwand da. Geweih tragen hier nur die Leuchter über den Esstischen. Und ein trashiger, amerikanischer Kunststoffhirsch in der Lobby, der einen Countrysong dudelt, wenn man ihn an die Nase fasst. Logisch, dass alle Kinder das Spielchen lieben – sie kommen aber gottlob selten dazu. Denn dazu ist das Programm vom hauseigenen „Bärenclub“ viel zu attraktiv: Indianerspielen im Tipi unten auf der Wiese, Flusskiesel bemalen, im Keller kickern. Das ist herzlich, bodenständig, unaufgeregt, und lässt den Eltern viel Raum. Tags zum Wandern oder Skifahren, abends, wenn sie ihr Vier-Gänge-Menü verputzen, während der Nachwuchs mit Betreuern zur „Kinder-Alm“ loszieht und dort bis neun, halb zehn gefühlte 1000 Mal auf einer Rutsche ins Heubett saust.

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Und die Clowns? Es gibt tatsächlich einen, sogar in Lebensgröße. Der kam vor einigen Jahren mit einer Lieferung von Werbematerial ins Haus, weil das „Bellavista“ zu einer Kooperation gehört, die ihn als Markenzeichen trägt. Aber ach: Leider, leider hatte die kleine Tochter Marialena Angst vor ihm. Seitdem steht er vergessen in einer dunklen Kellerecke. Ein Jammer. Unsere Kinder haben ihn nicht vermisst.

Info: Preis pro Person im Doppelzimmer inkl. Frühstücksbüffet und Halbpension ab 79 Euro (Hauptsaison Sommer) bzw. ab 88 Euro (Hauptsaison Winter), Tagespreise Kinder: Babys 7 Euro, Ein- bis Dreijährige 20 Euro. Kinder zwischen 3 und 6 Jahren zahlen 50 Prozent des Erwachsenenpreises, Kinder von 6 bis 13 70 Prozent. Im Preis enthalten: tägliche Kinderbetreuung mit liebevollem Programm. Besonders geeignet für den Urlaub mit Kindern sind die Familien-Appartements mit getrenntem Kinderschlafzimmer (Stockbett). Tipp: In den „Happy Family“-Wochen (aktuelle Termine auf der Website) schläft ein Kind bis acht Jahre gratis mit im Elternzimmer.

 

2 Replies to “Eine Familienangelegenheit”

  1. Stephan

    Liebe Verena! Vielen Dank für Deine “Auffrischung” schöner Urlaubserinnerungen! Hoffentlich auf bald wieder mal! 😉 Lieben Gruß aus den Bergen, Stephan

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