Ausgehen über 40: Your Disco needs you!

Es war der Beginn einer jahrelangen Leidenschaft, aber es begann ganz unschuldig im Jahr 1984, an einem Samstag nachmittag um drei. Zu dieser Uhrzeit lud die Tanzschule Fritz in meiner Heimatstadt Freiburg nämlich immer die Teilnehmer der Anfängerkurse ein, damit sie zu Stevie-Wonder- und Kajagoogoo-Beschallung ihre Discofox- und Jive-Figuren weiter üben konnten und sich dabei unauffällig nach festen Tanzpartnern umsehen konnten. Oder zumindest nach jemandem, der sie später zur Straßenbahnhaltestelle brachte. Meine Freundin Ute und ich waren tagelang aufgeregt, entwarfen und verwarfen Dresscodes und Verhaltensregeln: Was tun, wenn ein Junge uns anspricht und uns wirklich zur Straßenbahn bringen will? Schließlich erschienen wir in unseren coolsten Bundfaltenhosen, pastellfarbenen Sweatshirts und mit viel Spray im Haar.

Die Nachmittagspartys waren die Antiklimax der Coolness und deshalb bei unseren Eltern wahnsinnig beliebt: Rauch- und Alkoholverbot, und keine gefährlichen Männer an der Bar, sondern pickliger Jünglinge auf der Tanzfläche, die mehr Manschetten vor uns Mädchen hatten als umgekehrt. Nix Dirty Dancing! Später, ab dem Fortgeschrittenenkurs, wurden wir dann auf den Abendpartys von 18 bis 22 Uhr zugelassen. Wir beknieten unsere Mütter, doch bitte um die Ecke zu parken beim Abholen (man könnte ja mit Mutti gesehen werden, grundsätzlich peinlich!) und machten erste Erfahrungen mit schwitzigen Jungskörpern beim Klammerblues. Ich denke heute noch daran, wenn „Drive“ von den „Cars“ in irgendwelchen Oldie-Kanälen gespielt wird. Aber eigentlich waren die Jungs gar nicht so wichtig. Wir wollten nur das eine: tanzen.

Ausgehen über 40: nicht mehr am Türsteher scheitern, sondern am inneren Schweinehund

Ich glaube, die nächsten 15 Jahre habe ich nicht eine einzige Woche verbracht, in der ich nicht mindestens einmal irgend eine Tanzfläche stürmte. Nur das mit dem Discofox, das hielt nicht lange vor. Wer brauchte schon so etwas Spießiges wie einen Tanzpartner? Schon ein, zwei Jahre nach den Fritz-Feten schlich ich mich mit immer neuen, geliehenen Personalausweisen von Freundinnen über 18 in die örtlichen Discos, vor allem das „Zorba the Buddha“, mild beäugt von erleuchteten Sanyasins in roten Gewändern, die meine Mogelei mit dem Mindestalter natürlich durchschauten, dem aber nie Einhalt geboten. Der DJ in Baghwans Tanztempel hatte ein altmodisches Klemmbrett hinter seinem Pult, und wir schrieben ihm seitenweise Wünsche auf weiße Blankozettel („Big love von Fleetwood Mac, bittebittebitte!“), die er nie erfüllte. Die Tanzfläche war weiß gekachelt, es war ein bisschen wie im Schwimmbad, und in den verspiegelten, halbhohen Stehtischchen am Rand des Rundes konnten wir unsere Beine zappeln sehen. Der Inbegriff von Weltgewandtheit.

Ausgehen über 40

Wir lieben es: Tanzen kennt keine Altersgrenze!

Wir fanden uns wahnsinnig erwachsen und verrucht, wenn wir bei „Get down on Saturday night“ laut mitgrölten: „Make love until the morning comes.“ Dabei hatten wir noch kaum Ahnung vom echtem Love-Making, wir tanzten uns eher die Füße aus dem Leib und vergaßen manchmal, dass unsere Mütter zu Hause besorgt durch die Küche tigerten – so war die prä-digitale Ära, da schickte man noch keine WhatsApps in der Nacht. Am Montag in Mathe drapierten wir dann betont lässig unsere Handrücken auf dem Schultisch, damit unsere Banknachbarn unsere coolen, zwei Tage alten Stempelaufdrucke sahen, die sich so schlecht abwaschen ließen. Ich weiß noch, das „Inside“ in Emmendingen hatte einen, auf dem „Frischfleisch“ stand. Fanden wir irre lustig.

Mit 20 zog ich nach München und lernte ein neues Feindbild kennen. Zwar war ich offiziell volljährig, aber ob aus einem Abend etwas wurde, hing plötzlich von der Laune blasierter Türsteher ab – eine Spezies, die ich vorher nie beachtet hatte. Nach einer Weile stellte ich fest, dass man in der „Theaterfabrik“ und im „Nachtwerk“ problemlos reinkam, das „Babalu“ (ein ehemaliges Puff in Schwabing) eine sehr wechselhafte Türpolitik verfolgte und das berühmte „P1“ völlig unerreichbar war. Ende der Neunziger verbrachte ich schließlich drei von sieben Abenden pro Woche im „Atomic Cafe“, vermutlich dem besten Club, den ich jemals kennen gelernt habe und in dem damals auch so einige bekannte Live-Bands ihren Anfang nahmen, die später große Hallen füllten.

Ausgehen über 40

Helden der Nacht: Manchmal können DJs Leben retten

Dann kam ein weiterer Umzug nach Hamburg, kurz danach folgte endlich die große Liebe, und das war das Ende meiner anderen großen Liebe. Nicht nur, weil mein heutiger Mann schon damals bekennender Nicht-Tänzer war – ich hätte ja ohne weiteres auch allein oder mit Freundinnen losziehen können. Nein: Was die abendliche Zappelei anging, war ich wohl einfach müde. Ich war ein 30-something, der es genoss, abends zur Abwechslung mal gute Gespräche in schönen Lokalen mit immer dem selben interessanten Mann zu führen, statt vor einer Riesen-Box immer neuen Bekannten ins Ohr zu schreien („Was, du bist aus Pinneberg?“). Und dann kamen die Kinder, und das Wort Nightlife bekam eine völlig neue Bedeutung. Vor allem meine Tochter machte als Baby im Stundenrhythmus die Nacht zum Tage.

Das ist nun auch schon wieder zehn Jahre her. In diesen Jahren kann man an zwei Händen abzählen, wo und wie häufig ich getanzt habe. Mal auf einer privaten Silvesterparty, mal auf einer Hochzeit, mal … tja. Da hört es auch schon auf. Es war nicht so, dass ich nicht ab und zu mal Lust gehabt hätte – aber die Gelegenheiten wurden entweder weniger, oder sie passten nicht mehr zu mir. Wer will schon übermütig nachts vor einem Club auftauchen und sich dort vom Türsteher fragen lassen, ob man seine Teenagertochter sucht? Ist einer Freundin von mir so passiert. Das ist bitterer, als mit 20 im P 1 abgewiesen zu werden. Umgekehrt atmeten offizielle Ü-40-Partys für mich immer den Hauch der Verzweiflung, und darauf hatte ich keine Lust. Genau so wenig wie auf altersgemäße Tanzvarianten wie Tango – einen ganz andere Nummer! – und spirituelles Bauchwackeln.

Last night a DJ saved my life: der Tanzclub Grand Cru ist perfekt fürs beste Party-Alter

Und dann kam eines Tages meine Kollegin Susanne aus unserer Coachinggruppe auf eine geniale Idee: Sie erfand gemeinsam mit Freunden eine private Partyreihe, fürs Abzappeln ein Mal im Quartal, für Menschen unseres Alters. Also alles zwischen Mitte 30 und weit über 50. Mietete eine Location, engagierte einen DJ und Barpersonal und rechnete, wie das ganze zu einem vernünftigen Eintrittspreis kostendeckend funktionieren könnte. Fertig war der Tanzklub Grand Cru. Und so kamen Esther und ich am vergangenen Freitag mal wieder zu einem lang entbehrten Genuss: tanzen, bis der Himmel wieder lila wird. War alles wie früher, jedenfalls fast. Die Frauen rockten los, als gäbe es kein Morgen, die Männer standen in sicherem Abstand, guckten und hielten sich an ihren Bierflaschen fest (und ließen sich eher später mit dazu locken). Dazu lief alles von den Beginnern bis zu Lykke Li, von Whitney Houston bis zu den Gerade-Noch-Sommerhits 2016  („Cake by the ocean“). Das volle Programm, nur ohne Klammerblues und Eltern, die in der Seitenstraße mit dem Auto auf uns warteten.

Gib mir die Kugel: die Lightshow fehlt auch beim Tanklub Grand Cru nicht

Gib mir die Kugel: die Lightshow fehlt auch beim Tanklub Grand Cru nicht

Als ich nachts um kurz vor zwei mit einer alten Freundin in Richtung Taxistand stöckelte, fühlte ich mich jedenfalls so jung wie lange nicht mehr. Wenigstens so jung wie schon lang nicht mehr um diese Uhrzeit. Sicher: Ich werde auch künftig die meisten Freitage und Samstage eher im Kino, beim Essen oder auf dem heimischen Sofa verbringen. Aber ich weiß jetzt ganz genau, wie ich meinen Fünfzigsten feiern werde: mit DJ und Tanzfläche. Meine Kinder werden mich peinlich finden. Aber da müssen sie durch.

8 Replies to “Ausgehen über 40: Your Disco needs you!”

  1. Pingback: Hips don't lie: Tanzen als Fortysomething - eine Typologie - Heimspiel Bonn

  2. Clarissa

    Super Beitrag! Auch ich und meine Freundinnen haben nach Baby-, Arbeits- und sonstigen Pausen das Tanzen wieder für uns entdeckt. Mit Ü40 gar nicht so einfach, eine Location zu finden, wo man nicht als Disco-Oma beäugt wird… In Karlsruhe: http://www.substage.de, mit Ü30, 80er und 90er Parties. Von 30 bis weit über 50 sind die Leute bunt gemischt. Und da man um 21 Uhr schon hingehen kann, kommt man auch nicht zu spät ins Bett und ist am Sonntag wieder familientauglich :-).

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  3. Barbara

    Hallo Ihr tanzfreudigen Ü-40 Mädels in Hamburg …
    Mein Mann und ich gehen seit einem halben Jahr regelmäßig in “Angies Nightclub” tanzen..und sind begeistert, wie gut das tut.
    “Anfangen” , wenn andere ins Bett gehen, singen, tanzen und schwitzen zu alter und neuer Soulmusik bis man erschöpft mach Hause “kriecht”…den Sonntag leicht übermüdet vergammeln…zu schön- und Mädels…so “alt” sind wir noch gar nicht.

    Lg von Barbara, die bald 52 wird und bei der das Wort Ü-Party schon immer Übelkeit auslöste 😉

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  4. Heidi

    Hallo Verena,

    was für ein toller, schöner Artikel – und eine klasse Idee!!! Ich bin mit meinem Alter (knapp 50) eigentlich im Reinen, aber was das “Nicht-mehr-in-Clubs-tanzen-gehen-können-ohne-blöd-angeguckt-zu-werden” angeht bin ich total verzweifelt. Und Du hast Recht – die Ü40 Partys sind oft ganz schrecklich. Dazu kommt, dass bei diesen Partys häufig nur das gleiche gespielt wird, was schon in den 80ern im Radio rauf und runter lief. Ich bin ein großer Techno-, House- und Funk-Fan, aber da kannst du schauen, auf welcher Ü40 das auch gespielt wird. Mal davon abgesehen, dass selbst meine Freunde damit nix anfangen können. Da bedaure ich es doch mal ausnahmsweise, in München zu leben… 😉

    Lieben Gruß
    Heidi

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    • Verena Carl Author des Beitrags

      Komm nach Hamburg, Heidi! Da finden wir schon was :). Haben wir in den Neunzigern in München eigentlich in den selben Clubs getanzt? Macht der Nacht, Nachtwerk, ab und an Park Cafe, später Atomic Cafe rauf und runter…

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