Familiensommerferien: warum ich nach sechs Wochen alltagsreif bin

Ich bin alltagsreif. Absolut und total alltagsreif. Morgens um halb neun stehe ich auf dem Balkon meiner Wohnung und beneide die dynamischen Radler mit den windschnittigen Helmen da unten auf der Fahrt in ihre Büros. Sicher sind die auf dem Weg, irgendwelche sauwichtigen, hochkreativen, innovativen und teamorientierten Entscheidungen in aufregenden Jobs zu treffen. Ich hingegen stehe mal wieder vor der Wahl, mit welchem meiner Kinder ich es mir beim Mittagessen verscherzen soll: meiner Tochter, die Blumenkohl hasst, oder meinem Sohn, der keinen Spinat mag.

Historisch statt hysterisch: Familiensommerferien machen mich alltagsreif

Während die Sommerferien in die sechste Woche gehen, sehne ich mich nicht mehr nach südlichen Stränden, sondern nach ganz anderen Dingen. Meinem stillen Home Office, in das nicht alle fünf Minuten einer reinschneit, der pantomimisch den letzten Elfmeter seiner Fifa-15-Daddelmaschine vorführen will („Mama, und dann ich so: bämm!“). Einem Büro, in dem keiner Unordnung machen darf außer mir selbst. Ich sehne mich nach Salatmix aus der Supermarkttheke oder Health-Food-Lieferservice statt Geschrei um Lieblingsgerichte. Und danach, nachmittags mit Historikern spannende Interviews zu führen, zum Beispiel, statt hysterische Pre-Teens zu beruhigen („Sie hat gesagt, ich wär nicht mehr ihre Freundin, weil ich immer so schnell weine.“) Wird das schön.

Alltagsreif

Den Weg gemeinsam gehen – dafür sind lange Ferienzeiten gut (c) Pixabay

Damit wir uns recht verstehen: Abgesehen vom Herbstwetter hatten wir gelungene Sommerferien. Erst eine so lauschige wie aufregende Hausboot-Tour durch Mecklenburg-Vorpommern, dann eine Woche Ostsee. Nur: Irgendwie war das Timing schlecht. Seit fast zwei Wochen sind wir wieder hier, aber fast alle Freunde meiner Kinder sind noch weg. Klar, es gäbe eine Ferienbetreuung an der Schule. Aber so richtig scharf darauf sind meine beiden nicht, und ich kann das verstehen. Nicht, weil die Betreuung nicht taugt, eher, weil auch ein Kind mal seine völlig freie, unverplante Zeit braucht. Vor allem ein Kind, das zu Schulzeiten täglich seinen 8-Stunden-Tag von 8 bis 16 Uhr in der Ganztagsschule absitzt.

Und als Freiberuflerin kann ich es mir ja auch leisten, mit meiner Arbeit so um die Kinder herumzumäandern, dass trotzdem ein nettes Programm möglich ist. Nein, Mama hat jetzt keine Zeit, Mama muss noch den Reisetext fertig schreiben, ein paar Themenkonzepte mailen, und das Blog fühlt sich auch so leer. Aber nachher gehen wir ins Schwimmbad, kaufen Parkpicknick auf dem Weg, und ja, warum nicht in die Kletterhalle, wenn es morgen regnet? Dann aber früh, ich muss nachmittags was abgeben. Bei diesem Balanceakt spiele ich meistens Alleinunterhalterin: Mein Mann verlässt morgens um acht das Haus und kommt nicht vor sieben Uhr abends zurück. Der hat seinen Alltag längst zurück. Und meine wunderbare Mutter ist zwar immer wieder für Travemünde-Touren, Fahrradausflüge und Co zu haben, aber eben auch nicht immer.

Das Ferienprogramm jonglieren Mütter häufig ganz allein

Manchmal fordert die Solo-Jonglier-Performance meine letzten Reserven. Fängt schon morgens an: mein Frühaufstehersohn frühstückt gern um halb neun, meine Langschläfertochter lieber um halb zehn, und wenn ich um zehn alles abgeräumt habe, steht mein Kleiner in der Küche und verkündet: „Ich hab Hunger“. Bald eröffne ich ein Restaurant: Chez Sysiphos. Mittags geht es weiter, wenn ich abwechselnd von Sohn und Tochter aufgefordert werde, weitere 17 WhatsApp-Nachrichten an die Eltern der Freunde zu schicken, von denen ich längst weiß, dass sie immer noch beim Camping auf Rügen oder im Ferienhaus auf Sardinien weilen. Könnte ja wie durch ein Wunder sein, dass sie über Nacht spontan zurückgekehrt sind und sich innerhalb der nächsten fünf Minuten verabreden wollen.

Und abends ist die Challenge noch lange nicht zu Ende. Weil die Kinder morgens länger schlafen, dürfen sie natürlich auch abends bis ultimo aufbleiben. Feierabend? Vor ein paar Tagen haben Dierk und ich uns 90 Minuten Tatort im Wohnzimmer erkämpft, ohne jugendliche Zuschauer, für die der Stoff zu heftig gewesen wäre. Natürlich passierten zur gleichen Zeit kriminelle Dinge im Kinderzimmer, die ganz dringend unsere Anwesenheit erforderten, etwa 20 Mal. Gottlob gibt’s Digital-TV, das man jederzeit pausieren kann. Sonst wüsste ich bis heute nicht, dass der fiese Schwager der Mörder war. Kurz vor Mitternacht war der Tatort dann zu Ende.

Aber dann gibt es auch wieder die Momente, in denen ich weiß: Das alles ist es wert. Auch wenn mein Konto langsam leersickert, während ich auf Sparflamme arbeite und dabei um jede halbe Stunde am Schreibtisch kämpfen muss. Denn es ist ja auch ein Privileg: einen Job zu haben, mit dem es möglich ist, den Kindern so viel Zeit zu schenken – und mir selbst so viele gemeinsame Momente. Das hat nicht jeder. Wenn ich mehr Talent hätte, mit Zahlen umzugehen und weniger Geschick, mit Worten umzugehen, dann wäre diese Art von Freiberuflichkeit schon schwieriger. Welch ein Glück, dass ich für einen Job im Investment-Banking nicht tauge! Und es gibt ja nicht nur die Blumenkohl-versus-Spinat-Streitereien, sondern auch dieses ganz entspannte, alltägliche Zusammensein in den langen Ferienwochen, das Eltern häufig fehlt, die Vollzeit arbeiten und mit 30 freien Tagen auskommen müssen. Die dann die kostbaren gemeinsamen Tage oft mit möglichst spektakulären Erlebnissen und Events füllen. Aber viel seltener dazu kommen, mit ihrer Tochter zwei Stunden einfach auf einem Steg am See zu sitzen und darüber zu reden, wie es ist, langsam ein Teenager zu werden. Oder ihren Sohn zwei Stunden lang bei einem Fußballspiel im Park mit ständig wechselnder Mannschaft zu erleben und sich zu freuen, wie fair die Jungs und Mädchen untereinander sind und wie lang ihre Beine geworden sind.

Alltagsreif

Ein guter Ort für Familien-Talk: Geltinger Bucht an der Ostsee (c) Verena Carl

Ich stelle mir vor, wie das sein wird, so etwa in zehn Jahren, wenn wir unser Blog längst in 50-something umbenannt haben und meine Kinder mit irgendeinem obskuren Billig-Busanbieter nach Spanien unterwegs sind, um dort fünf Tage am Stück zu feiern. Dann werden es wahrscheinlich diese kleinen Urlaubs-Alltagsmomente sein, an die ich mich erinnere. Jeder davon ist unbezahlbar. Echt wahr.

 

 

 

 

5 Replies to “Familiensommerferien: warum ich nach sechs Wochen alltagsreif bin”

  1. Susanna Künzl

    Ich frage mich sowieso, wie Mütter es immer wieder schaffen, die vielen Ferien (Feiertage, Lehrer-Irgendwas mit Schulfrei, kranke Kinder) mit den knappen Urlaubstagen zum Einklang zu bringen. Hut ab und gute Nerven!

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  2. jongleurin

    Uff… das klingt tatsächlich herausfordernd. Umso mehr, als dass du das alleine vereinbaren musst und anscheinend auch alleine die finanzielle Last des weniger arbeiten tragen musst. Das erscheint mir sehr ungerecht, dein Partner profitiert ja immerhin sehr von der Situation – er wird maximal entlastet, du bist belastet, so liest es sich zumindest, schöne Erinnerungen hin oder her.
    Ich bin gespannt, wie das bei uns in ca. 4 Jahren geregelt wird. Bei zwei Festangestellten wird das auf jeden Fall spannend, den Wechsel von der Kita mit drei Tagen Schließzeit im Jahr zur Schule mit mehreren wochenlangen Ferien zu meistern.

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    • Verena Carl Author des Beitrags

      Liebe Jongleurin, ach nein, so ungerecht ist das nicht – wir verdienen ähnlich viel und teilen Ausgaben 50:50, und er kann sich ja keine Urlaubstage aus den Rippen schneiden. Ich könnte ja auch darauf bestehen, dass die Kinder in die Ferienbetreuung gehen. Aber den Luxus dürfen sie haben – und je älter sie werden, desto mehr können die beiden ja auch selbst ihre Urlaubsfreizeit planen. Aber danke für das Verständnis! Lieben Gruß, Verena

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  3. Britt Bürgel

    Liebe Verena – du schreibst mir aus der Seele! Ja, es ist wirklich ein Luxus, die eigene Arbeitszeit um die Kinder “herummäandern” lassen zu können (allein für diesen Ausdruck liebe ich deine Schreibe!). Trotzdem: Mäandern ist auch anspruchsvoll, erfordert gute Organisation und eine Stange Selbstdisziplin. Alles Dinge, die ich zumindest im Urlaub gern mal ablegen würde… Bei uns hat seit gestern die Schule wieder begonnen. Und auch wenn ich nun beim morgendlichen Weckerklingeln etwas wehmütig bin, so ist da auch die Freude über die meditative Stille im Haus, bevor ich mich auf den Weg in meine Praxis mache. So gesehen lehren mich die 6 Wochen Sommerferien jedes Jahr aufs Neue auch Demut vor dem Alltäglichen. Ein schöneres Souvenir kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Und du so? Herzliche Grüße aus dem sonnigen Nachferien-Alltag von Britt 🙂

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    • Verena Carl Author des Beitrags

      Danke, liebe Britt! Ja, das stimmt, mäandern ist eine Managementaufgabe :). Auch wichtig: das Genießen nicht vergessen… Guten Alltagsstart und lieben Gruß, Verena

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